Kommunikation und Agenda 2030' in Ländern des Globalen Südens

Raja Khadour, Nele Rebmann, Celesley Torres; Michelle Zender

 

1. Einleitung

“At its essence, sustainability means ensuring prosperity and environmental protection without compromising the ability of future generations to meet their needs. A sustainable world is one where people can escape poverty and enjoy decent work without harming the earth’s essential ecosystems and resources; where people can stay healthy and get the food and water they need; where everyone can access clean energy that doesn’t contribute to climate change; where women and girls are afforded equal rights and equal opportunities.”

-ehemaliger UN-Generalsekretär Ban-Ki Moon (Moon 2015)

Das Zitat des ehemaligen UN-Generalsekretärs bezieht sich auf die Kernbotschaft der Sustainable Development Goals (SDGs/Agenda 2030), die seit dem Jahr 2015 die globalen Entwicklungsziele der Vereinten Nation (UN) und Nachfolger der Millennium Development Goals (MDGs) sind. Mittlerweile sind seit ihrem Beschluss fünf Jahre vergangen und man sollte einen Blick auf die bisherigen Erfolge und Misserfolge der SDGs werfen. Ein Vergleich mit den vorhergegangenen MDGs bietet sich dafür besonders an und deshalb widmet sich dieser Dossier folgender Forschungsfrage:

Erfüllen vorhandene Konzepte, Projekte und Fallstudien die Heilserwartungen an die Sustainable Development Goals (SDGs), nachdem die Millennium Development Goals (MDGs) 2000- 2015 kläglich gescheitert sind?

Die Ziele der SDGs betreffen uns alle, es geht um Gleichberechtigung, Umweltschutz und Menschenrechte. Trotzdem scheint die Agenda 2030 noch immer nicht allen bekannt zu sein. Gerade im Bereich der deutschen Forschung und Entwicklung gibt es nur wenig fachbezogene Literatur. Aus diesem Grund ist der folgende Dossier nicht nur relevant für die deutsche Entwicklungshilfe, sondern soll vor allem dabei helfen, das Thema Sustainable Development Goals in der Öffentlichkeit bekannter zu machen. Aufgrund der besonderen Bedeutung von Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit für die Entwicklungshilfe und Konzeption der Agenda 2030 legt dieser Beitrag auch einen Fokus auf den Aspekt Kommunikation.

Um die vorangestellte Frage des Dossiers zu beantworten, wird zunächst in Kapitel zwei ein Überblick über die historische Entwicklung der Weltkonferenzen der UN, die Entwicklung der Kommunikationskonzepte und die Millennium Development Goals gelegt, wobei deren Endbilanz sowie Scheitern in diesem Kapitel im Vordergrund stehen. Anschließend folgt in Kapitel drei eine Erläuterung zur Agenda 2030, sowie ein Vergleich zu den Millennium Development Goals und ein Zwischenfazit. In Kapitel vier wird dann der Aspekt Kommunikation noch einmal aufgegriffen, mit speziellem Fokus auf die Kommunikationstechniken der UN-Kampagnen. In Kapitel fünf werden Konzepte und Strategien der Entwicklungshilfe unter dem Gesamtkonzept SDGs noch einmal beispielhaft an einigen Fallstudien erläutert. Die Arbeit endet mit einem Fazit.

 

2. Historische Entwicklung

2.1 Historischer Kontext: Das „Jahrzehnt der Weltkonferenzen“

Die Idee, internationale Entwicklungsziele zu schaffen, kam nicht erst mit der Einführung der Millennium Development Goals (MDGs) durch die Vereinten Nationen (UN/UNO). Schon seit Gründung der UN 1945 haben diverse Weltkonferenzen zur Entwicklung eines hohen Maßes der Übereinstimmung bei entwicklungspolitischen Fragen zwischen den Ländern der UN beigetragen. Im „Jahrzehnt der Weltkonferenzen“ (Loewe 2005, 4) wurde über mehrere Etappen hinweg - vom Beginn des 1990 in Thailand gestarteten World Summit on Education for All bis hin zum UN Millennium Summit in New York 2000 - bei dem die Millenniums Deklaration und damit die MDGs verabschiedet wurden- ein breiter Konsens in Bezug auf die Ziele sowie strategische Ansatzpunkte zur Umsetzung entwicklungspolitischer Probleme zwischen den Ländern geschaffen.

Die Besonderheit dieses Jahrzehnts liegt darin begründet, dass die Weltkonferenzen in großer und dichter Abfolge erfolgten, detaillierte und verbindliche Beschlüsse lieferten sowie einen hohen politischen Rang erhielten (Loewe 2005). Mögliche Gründe dafür liegen in der Globalisierung und der Entstehung und Ausbreitung neuer Kommunikationsmittel. Die neuen Strukturen und Möglichkeiten in einer global vernetzten Welt haben ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass viele sozioökonomische, ökologische und menschenrechtliche Probleme vielfältigen internationalen „Interdependenzen“ (Loewe 2005, 3) unterliegen und deshalb nur im internationalen Verbund gelöst werden können. 

Auch nach dem Jahrzehnt der Weltkonferenzen folgten und folgen noch immer weitere Weltkonferenzen, was ihm Jahr 2015 - dem offiziellen Ende der Agenda der MDGs - zur Verabschiedung der Sustainable Development Goals (SDGs) oder auch Agenda 2030 geführt hat, die in Kapitel drei genauer betrachtet werden.

Um einen Überblick über die Weltkonferenzen und deren wichtigsten Ergebnisse zu erhalten, folgt hier ein Zeitstrahl, bei dem man auf die jeweilige Konferenz klicken kann, um mehr Infos darüber zu erhalten.

1990
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World Summit on Education for All in Jomitien/ Weltgipfel für Bildung für alle
Ergebnis: Agenda Education for All
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1992
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UN Conference on Environment and Development “Earth Summit” / Weltgipfel für Umwelt und Entwicklung/ “Erdkonferez”
Ergebnis: Agenda 21, Rio Declaration, UN-Framework on Climat Change
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1993
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2nd World Conference on Human Rights in Wien/ UN-Menschenrechtskonferenz
Ergebnis: Vienna Declaration and Programme of Action/ Menschenrechtsabkommen Start of Commission on Sustainable Development (CSD)

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1994
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World Conference on Natural Disaster Reduction in Yokohama / Weltkonferenz zur Katastrophenvorsorge ​​​​​​

3rd World Conference on Population and Development in Kairo/ Weltbevölkerungskonferenz
Ergebnis: ICPD Declaration and Programme of Actions

Global Conference on Sustainable Development in Barbados
Ergebnis: Barbados Programme of Action

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1995
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World Summit for Social Development in Kopenhagen/ Weltkonferenz für soziale Entwicklung
Ergebnis: Copenhagen Declaration on Social Development and Program of Actions, 20/20-Initiative des OECD, OECD-Resolution “Shaping the 21st Century”/International Development Goals

4th World Conference on Women in Peking/-Weltfrauenkonferenz

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1996
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2nd UN Conference on Human Settlements/”Habitat” in Istanbul/ Weltkonferenz über menschliche Siedlung
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2000
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UN Millennium Summit in New York/ Millenniumskonferenz 
Ergebnis: Millennium Declaration/Millenniumserklärung

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2001
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World Conference against Racism, Racial Discrimination, Xenophobia and Related Intolerance in Durban/ Weltkonferenz gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängende Intoleranz
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2002
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International Conference on Financing for Development in Monterrey/ Weltkonferenz über Entwicklungsfinanzierung
Ergebnis: Monterrey Consensus: Bestätigung der MDGs

World Summit on Sustainable Development in Johannesburg/ Weltkonferenz für nachhaltige Entwicklung/ Rio +10
Ergebnis: Erweiterung der MGDs um zwei Unterziele der nachhaltigen Entwicklung

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2005
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“World Summit”/ UN+ 5 in New York
Ergebnis: World Summit on Outcome Resolution: Bekräftigung MDGs
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2012
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United Nations Conference on Sustainable Development (UNCSD)/ Konferenz der Vereinten Nationen über nachhaltige Entwicklung/ Rio + 20 in Rio de Janeiro
Ergebnis: Declaration „The Future We Want”; erstmals Einführung des Konzeptes „grüne Wirtschaft“; Einigunng auf Ausarbeitung von Sustainable Development Goals
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2015
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United Nations Sustainable Development Summit 2015/ Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung/UNO-Nachhaltigkeitsgipfel in New York
Ergebnis: Agenda 2030/Stustainable Development Goals/SDGs
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2017
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The Ocean Conference


Darstellung und Informationen basieren auf dem Deutschen Institut für Entwicklungspolitik

Hinweis: Diese Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern konzentriert sich vor allem auf für die MGDs und später die SDGs wichtigen Weltkonferenzen.
Da gerade bei den SGDs das Thema Umwelt- und Klimaschutz von Bedeutung ist, findet ihr hier nähere Informationen zu den Klimakonferenzen.


2.2 Entwicklung der Theorien in der Entwicklungskommunikation

Gemeinsam mit den Strategien und Zielen haben sich natürlich auch die zugrunde liegenden Theorien verändert. Aufgrund der besonderen Fokussierung dieses Dossiers auf die Bedeutung der Kommunikation, wird hier die Entwicklung der Kommunikationstheorien und der Einfluss der Medien dargestellt (vgl. Corte 2008; Krzeminski 1999). 

Die Modernisierungstheorie (1960-1970) vertritt die Annahme, dass Entwicklung nur durch ökologischen Fortschritt sowie Wachstum und Steigerung der Produktivität erfolgt und dass ein wirtschaftlicher Aufschwung nur genau wie im Westen durch die Industrialisierung und das Aufbrechen traditioneller Strukturen vollzogen werden kann, d.h. Kapital, Technologien und Ideologien des Westens sollen auf unterentwickelte Länder übertragen werden. Dabei nutzt man moderne Massenmedien wie Zeitungen, Radio und Fernsehen, um das Bewusstsein und Verhalten der Bevölkerung durch eine einseitige, von oben herab kommende Kommunikation auf breiter Basis zu verändern und so das Überwinden fortschrittshemmender Faktoren zu beschleunigen. In diesem Zusammenhang ist auch das Diffusionsmodell (Rogers 2003) einzuordnen. Dieses besagt, dass Inhalte der Massenkommunikation über sogenannte Meinungsführer*innen/Innovators ins soziale Umfeld der Rezipient*innen gelangen und diese so zur Verhaltensänderung beeinflusst.

Diffusionsmodell

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Die Modernisierungstheorie konnte die gewünschten Ergebnisse nicht erzielen, weil sie zu stark auf den ökonomischen Faktor fokussiert ist. Sie gilt heute nicht nur in der Entwicklungskommunikation als gescheitert. 

Die zweite Phase beinhaltet die Dependenztheorie, die die Ursache für Unterentwicklung in der Abhängigkeit der Entwicklungsländer von den Industrieländern sieht. Anhänger*innen vertreten die Idealvorstellung, dass sich das Ungleichgewicht durch Abkopplung der Entwicklungsländer vom Weltmarkt und von den westliche Medien, die sie als Mittel der Unterdrückung werten, durch stärkere Zusammenarbeit untereinander behoben werden kann. Da das Modell den Fokus zu stark auf die internationalen Beziehungen und zu wenig auf die landesspezifischen Problemen legt, wird es in der Entwicklungsdiskussion ebenfalls abgelehnt. 

Die heutzutage anerkannte Theorie ist die der partizipativen Kommunikation.  Im Sinne einer Bottom-Up Kommunikation auf horizontaler Ebene werden die Menschen, die direkt von den Problemen betroffen sind, auf allen Ebenen der Entwicklungsarbeit durch Dialoge - also von beiden Seiten ausgehende, ohne hierarchische Ebenen funktionierende Kommunikation - gemeinsame Evaluationen, gemeinsame Lösungssuche sowie das gemeinsame Treffen von Entscheidungen einbezogen. Das Ziel dieses auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen basierenden Systems ist es, Entwicklungsprojekte unabhängiger und langfristiger zu machen und den betroffenen Menschen Selbstvertrauen und Entscheidungsgewalt sowie Medienkompetenz zu vermitteln. Die Medien sollen dabei dezentralisiert und demokratisiert werden und es muss eine gute Mischung aus traditionellen Massenmedien und alternativen Medien, wie etwa Theater oder Tanz, geben. Im Vordergrund stehen dabei stets die Spezifika der jeweiligen Länder und der Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur.

10 Steps of a successful Communication

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Projektlink zur Partizipativen Kommunikation

Video zu Projekt  

2.3. Die Millennium Development Goals (MDGs)

Die Millennium Development Goals sind, wie in Kapitel 2.1. schon erwähnt, das Ergebnis des Millennium-Gipfels 2000 in New York, bei dem 189 Staats- und Regierungschef*innen zusammengekommen waren und sich Entwicklungsziele mit Fokus auf Armutsminderung und soziale Anliegen bis zum Jahr 2015 vorgenommen haben. Zunächst wurde eine Millenniumserklärung (Millennium Declaration) beschlossen, die die Aufgabenstellung für die Politik beschreibt und vier sich wechselseitig beeinflussende Handlungsfelder definiert: Friede, Sicherheit und Abrüstung, Entwicklung und Armutsbekämpfung, Schutz der gemeinsamen Umwelt und Menschenrechte sowie Demokratie und gute Regierungsführung. Die Verabschiedung der MDGs in der Millennium Declaration entspricht einer teilweisen Abkehr vom sogenannten Washington Consensus, der in den 1980er Jahren in der internationalen Entwicklungspolitik vorherrschend war, hin zum Capabilities Approach (Sen 2008).

 

Washington Consensus vs. Capabilities Approach

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In einer Arbeitsgruppe bestehend aus UNO, Weltbank, OECD und IWF wurden dann acht Entwicklungsziele mit jeweils 18 Unterzielen verabschiedet - die Millennium Development Goals.

Millennium Development Goals

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Quelle: Wikipedia

Millennium-Development Goals

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Wer hat die Millennium-Development Goals aufgestellt?

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In den Jahren 2005, 2010 und 2015 gab es weitere MDG-Gipfel, bei denen Zwischenbilanzen beziehungsweise im Jahr 2015 dann die Endbilanz gezogen wurde.

Einordnung Endergebnisse MDGs

Die Ergebnisse (Vereinte Nationen 2015) erscheinen zunächst positiv, erfordern jedoch ein genauere Einordnung, die in der Grafik an einigen MDGs beispielhaft vorgenommen werden.

Einordnung Endergebnisse MDGs

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Schon 2010 zeichnete sich ab, dass die MDGs bis 2015 nicht erreicht werden können, wie unter anderem im Report Armutszeugnis 2010 kritisiert wird (Martens und Schultheis 2010). Zwar haben die MDGs wichtige Grundsteine für die Entwicklungshilfe gelegt, gelten aber heute außerhalb der UN als gescheitert.

Die Millenniums- und Entwicklungsziele der UNO vom SRF

8 Millennium Development Goals

 

2.4. Warum sind die MDGs gescheitert?

Das Scheitern der MDGs hat diverse Gründe, die sich über den Entwicklungszeitraum, über die Ausführung bis hin zur Auswertung der Ergebnisse ziehen (im Folgenden basierend auf Köhler 2015; Martens und Schultheis 2010; Vereinte Nationen 2015; Wikipedia 2019).

Zunächst einmal zählt die selektive Zielauswahl zu den Problemfeldern. Die acht ausgewählten MDGs und Unterziele decken nicht das in Kapitel 2.3 bereits erwähnte Themenspektrum ab - Umwelt, gute Regierungsführung, Frieden und Sicherheit scheinen nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Hinzu kommt, dass innerhalb der Ziele selektiert wurde, wie zum Beispiel beim Aspekt der Bildung, die nur auf die Primärschule beschränkt wurde und somit keine Auswirkung auf einen möglichen Besuch einer weiterführenden Schule hat. Anhand des Bildungszieles lässt sich auch verdeutlichen, dass Quantität in den MDGs meist vor Qualität zu stehen scheint. Selbst wenn mittlerweile 91% (Vereinte Nationen 2015, 24) der Kinder eingeschult werden, sagt dies noch nichts über die Qualität der Bildung aus, da es keine Informationen darüber gibt, ob die Kinder regelmäßig zur Schule gehen, ihren Abschluss machen oder auf welchem Bildungsniveau sie sich tatsächlich befinden. Dies zeigt sich auch bei MDG 4 und 5, da die Senkung der Sterblichkeitsraten noch nichts über die Lebensqualität der Mütter und Kinder aussagt.

Des Weiteren zeigt sich bei der selektiven Zielauswahl eines der größten Probleme der MDGs, nämlich das zu wenig auf die einzelnen länderspezifischen Strukturen Rücksicht genommen und den Entwicklungsländern in der Zielsetzung zu wenig Mitspracherecht gegeben wurde. Dies führt zum Paradox, dass die Entwicklungsziele der MDGs sowohl zu wenig als auch zu stark ambitioniert sind. 

Klar zeigt sich uns heute auch, dass das Thema Umwelt und Klimaschutz eine viel zu geringe Bedeutung in den MDGs erhalten hat. In diesem Zusammenhang lässt sich auch der Kritikpunkt der Verpflichtung der Industrieländer ansprechen. Es gibt, von der 0,7% Regel abgesehen, sehr wenige Ziele und Verpflichtungen für die UN-Mitgliedsstaaten, d.h. die Hauptverantwortung für das Erreichen der MDG Ziele wurde den Entwicklungsländern selbst gegeben (MDG 8) ohne konkret die Verpflichtung der Industrieländer, dafür die nötigen Beiträge zu leisten, zu benennen, was dazu führte, dass diese ihre eigenen Interessen denen der Entwicklungshilfe voran stellten. 

Ein weiteres großes Problem lag in der Definition von Armut, die noch eher dem Washington Consensus und weniger dem Capabilities Approach verpflichtet war (siehe Kapitel 2.1) und sich deshalb unter dem Ziel der Reduktion der Einkommensarmut vor allem auf monetäre Lösungen und zu wenig auf die Ursachen von Armut konzentrierte. Darauf basieren ebenfalls die Verteilungsproblematik und systematische Benachteiligung. Bei der Verteilungsproblematik ist die Kritik, dass strukturelle Fragen wie die Ungleichverteilung von Vermögen, Besitz und vor allem politischer Macht und den Rahmenbedingungen der einzelnen Länder einfach außer Acht gelassen wurden, weshalb es keine wirkliche Ursachenbekämpfung von Armut geben konnte. Als Beispiel lässt sich hier das Problem der Korruption in der Politik Afrikas anbringen, die dafür sorgt, dass viele Hilfs- und Entwicklungshilfen nicht dort ankommen, wo sie sollen. In diesem Bereich müssen die UN-Mitgliedsstaaten sich auch selbst reflektieren, denn von ungleichen Handelsbeziehungen und billigen Produktionsstätten in den Entwicklungsländern profitiert auch deren Wirtschaft. In diesem Problemfeld bewegt sich auch die systematische Benachteiligung, denn besonders Frauen und Randgruppen werden bei den meisten MDGs noch immer benachteiligt, weil sie schwerer zu erreichen scheinen. Dies bedeutet, dass die Ziele insgesamt in einem Land zwar erreicht wurden, dies aber nicht für die einzelnen benachteiligten Gruppen gilt. Diese Diskriminierung, die sich in der Tabelle zum Beispiel (siehe 2.5) beim Anteil der arbeitenden Frauen oder der Armutsgefährdung von Frauen zeigt, wird auch bei der Betrachtung von städtischer und ländlicher Bevölkerung deutlich. Hier dient die Kindersterblichkeit als gutes Beispiel, da diese mit 84 Todesfällen pro 1000 in ländlichen Regionen deutlich höher ist als in städtischen mit 61 Todesfällen (Köhler 2015, 246). 

Als letzten Kritikpunkt lassen sich methodische Probleme bei der Datenauswertung sowie Anpassungen von Zahlen und Definitionen anbringen. Wie man in der Grafik zur Endbilanz der MDGs 1990 sehen kann, fehlen nicht nur exakte Ausgangswerte, anhand denen man eine genau Analyse hätte vornehmen können, sondern auch, dass die Frist für die Umsetzung der MDGs tatsächlich im Nachhinein auf 25 Jahre verlängert wurde, weil 1990 als Basisjahr für die Berechnungen genommen wurde. Dies führt neben einer Anpassung der Armutsdefinition von 1,5 US-Dollar pro Tag auf 1,25 US-Dollar pro Tag und einer Änderung der Definition von Hunger, bei der nicht die Anzahl, sondern lediglich der Anteil von an Hunger leidenden Menschen halbiert wurde, zum Vorwurf, dass gerade die Ziele in MDG 1 nur durch Anpassung und Änderung der Zahlen erreicht wurde (Köhler 2015, 245). 

Zusammenfassend ist der Grund für das Scheitern der MDGs deren zu wenig auf Nachhaltigkeit und Stabilität beruhender Fokus sowie die Beschränkung auf die soziale Ebene und ein zu eng gefasstes Entwicklungsverständnis. Dies führt dazu, dass die Entwicklungserfolge gegenüber nationalen und internationalen Krisen wie der Finanzkrise 2008/2009 oder der Flüchtlingskrise 2015 nicht stabil genug sind, was sich auch bei den SDGs und der Coronakrise, welche in Kapitel 6 noch einmal genauer beleuchtet wird, fortzusetzen scheint. Alles in allem haben die MDGs jedoch dazu beigetragen, dass die Bekanntheit und die Akzeptanz der Entwicklungsprobleme sowohl bei den Industrie-, als auch bei den Entwicklungsländern gestiegen ist und deren Probleme und Daten eine solide Basis für die Entstehung der SDGs gebildet haben. Des Weiteren ist durch den Versuch, die Fortschritte in der Entwicklung messbar zu machen, der Druck, die Sensibilität und das Verantwortungsgefühl der Länder gestiegen, die Ziele auch wirklich erreichen zu wollen.

 

10 Gründe warum die MDGs gescheitert sind

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2.5. Entstehungsgeschichte der SDGs

„2015 ist ein wichtiges Jahr auf unserem Weg. Wir werden die Initiative der Millenniums-Entwicklungsziele abschließen. Wir sind dabei, eine kühne Vision für die Herbeiführung einer nachhaltigen Entwicklung mit einem entsprechenden Zielkatalog auszugestalten. Und wir wollen ein neues, universales Klimaabkommen schließen.”
— ehemaliger UN-Generalsekretär Ban Ki-moon

Im September 2015 haben die 193 UN-Mitgliedsstaaten auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung 2015 in New York (siehe Zeitstrahl) insgesamt 17 Ziele und 169 Unterziele für nachhaltige Entwicklung bis 2030 verabschiedet - die Sustainable Development Goals/Agenda 2030.

 

3. Agenda 2030/SDGs

3.1 Was ist die Agenda 2030?

Die Agenda 2030

3.1 Was ist die Agenda 2030?

Unsere Welt verändert sich - stetig und unaufhaltsam. So lebten bereits 2015 rund 7,35 Milliarden Menschen auf der Welt, 2050 werden es voraussichtlich mehr als 9 Milliarden Menschen sein (Die Bundesregierung 2017). Dabei sollen alle Menschen „jetzt und in Zukunft ein Leben in Würde führen können, alle haben ein Recht auf Nahrung und Wasser, Bildung, Gesundheitsversorgung und ein Leben in Sicherheit.“ (Die Bundesregierung 2017, 11). Um dies zu gewährleisten, gilt es den Planeten und die Menschenrechte zu schützen, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern sowie Politik und Wirtschaft in Einklang mit den natürlichen Gegebenheiten des Planeten zu bringen. Die Agenda 2030 leistet hierfür einen Vorschlag hinsichtlich einer weltweiten Zukunftsplanung und einer nachhaltigen Entwicklung in allen Ländern. So soll sich mit der 2015 beschlossenen Agenda bis zum Jahre 2030 das Leben aller Menschen grundlegend verbessern (Dückers 2017).

Mit der Agenda 2030 ging nicht nur eine thematische Weitung der Ziele, sondern auch eine komplette Neuorientierung der Entwicklungspolitik einher. So steckt hinter der Agenda 2030 ein dreijähriger Diskussions- und Verhandlungsprozess (Martens and Obenland 2017) sowie ein verändertes Entwicklungsverständnis. Anstatt des klassischen Geber-Nehmer-Prinzips und einem Fokus auf einen bestimmten Teil der Erde, sieht die Agenda 2030 ein Entwicklungspotential und eine Verantwortung hinsichtlich nachhaltiger Entwicklung in allen Ländern der Welt. Die insgesamt 17 universellen Ziele und 169 Unterziele der Agenda 2030, die Sustainable Development Goals, sollen folglich in allen Ländern länderspezifisch umgesetzt werden und die Länder sich untereinander auf Augenhöhe begegnen. 

Die Agenda 2030 „will die Transformation der Welt einläuten“ (Brühl 2018, 17) – basierend auf einer Zusammenführung der drei Dimensionen nachhaltiger Entwicklung: Ökonomie, Soziales und Umwelt (Patel 2018). Dabei spricht der Name des 41 Seiten langen Dokuments, „Transforming Our World: The Agenda 2030 For Sustainable Development“ (United Nations 2015) für sich: Die SDGs vereinen die Entwicklungs- und Umweltagenda und fassen verschiedenste Probleme der heutigen Zeit - von Hunger und Armut über Klimawandel bis hin zu Unfrieden und schwachen Institutionen – zusammen (Holtz 2018). Darüber hinaus erkennt die Agenda 2030 die einzelnen SDGs nicht als alleinstehend, sondern als miteinander verwoben und einander beeinflussend an. Folglich müssen Themen, die miteinander agieren, auch zusammen gedacht werden. Nur so kann eine erfolgreiche nachhaltige Entwicklung erzielt werden (Brühl 2018). Um die Zusammenhänge aller Ziele deutlich zu machen, wird die Agenda 2030 mittels 5 Kernbotschaften - den 5 P’s - resümiert: planet, people, prosperity, peace und partnership (Martens and Obenland 2017).

Die Agenda 2030 stellt in mehrfacher Hinsicht eine Weiterentwicklung vorheriger Entwicklungspolitik dar. Frieden bildet ein Leitmotiv der Agenda 2030. Die moderne Entwicklungspolitik enthält erstmalig eine friedenspolitisch Dimension sowie die Erkenntnis, dass eine nachhaltige Entwicklung unabdingbar mit Frieden verbunden ist und vice versa (Brock 2018). Die SDGs der Agenda 2030 wollen mehr sein als nur leere Worte ohne Taten. Sie streben eine Funktion als „Eckpunkte einer Neugestaltung der Weltverhältnisse unter den Leitprinzipien von sozialer Gerechtigkeit, ökologischer Nachhaltigkeit und stabilem Frieden“ (Brock 2018, 57) an und wollen ihren Fokus auf die tatsächliche Umsetzung legen (Martens and Obenland 2017). Tatsächlich enthält die Agenda 2030 mit ihrer Präambel sowie den 4 Teilen „Deklaration der Staats- und Regierungschefs“, „Ziele und Zielvorgaben für nachhaltige Entwicklung“, „Mittel zur Umsetzung und globale Partnerschaft“ sowie „Follow-up und Überprüfung“ auch mehr als nur eine Zielsetzung (Martens and Obenland 2017). Inwiefern und ob die Umsetzung erfolgt, beziehungsweise funktioniert, soll im Folgenden noch erläutert werden.

8 Fakten zur Agenda 2030

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3.2 Wodurch unterscheiden sich SDGs und MDGs?

Die SDGs und MDGs haben einige Gemeinsamkeiten, aber es gibt auch viele Unterschiede. Der markanteste Gegensatz zeichnet sich wahrscheinlich in den jeweiligen Entwicklungsverständnissen und in der Verantwortungszuschreibung ab. So waren die MDGs größtenteils von einem althergebrachten Entwicklungsverständnis geprägt, welches sich geografisch auf die Länder des globalen Südens konzentrierte (Debiel 2018). Dabei wurden „die Länder des globalen Nordwestens […] vornehmlich als ‚Geber‘ [gesehen], die über wirksamere Entwicklungszusammenarbeit in einem asymmetrisch angelegten Transferverhältnis eine Art Sozialhilfe für die ‚randständigen‘ Teile der Weltgesellschaften leisten.“ (Debiel 2018, 5) Folglich oblag die Hauptverantwortung der Umsetzung der Ziele den Ländern des globalen Südens. Dies möchte die Agenda 2030 ändern: Länder sollen sich auf Augenhöhe begegnen, Unterstützung partizipativ und bedürfnisorientiert erfolgen sowie eine Ausgewogenheit zwischen Zielen und Pflichten der Länder erzielt werden. Die SDGs richten sich also nicht mehr nur an Entwicklungsländer, sondern gelten für alle 193 Mitgliedsstaaten (Beisheim 2018). Darüber hinaus unterscheiden sich die SDGs von den MDGs durch ihre thematische Weitung, die Zusammenführung von Umwelt- und Entwicklungsagenda sowie durch die friedenspolitische Dimension der Agenda 2030 (Debiel 2018).

Zusammenfassend lassen sich einige Unterschiede wie folgt darstellen:

Vergleich MDG's vs. SDG's

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3.3 Wie funktioniert die Agenda 2030?

Die Agenda 2030 verfügt über insgesamt 17 universelle Ziele der drei Dimensionen von Nachhaltigkeit: Ökonomie, Soziales und Umwelt. Ebenjene Ziele sollen länderspezifisch in den einzelnen Nationen umgesetzt werden, die Umsetzung der Ziele obliegt folglich den Staaten. So sind die SDGs ein Orientierungsrahmen mit universeller Zielsetzung (Debiel 2018) die konkreten Umsetzungen und Strategien unterscheiden sich je nach Land. In Deutschland wird die Agenda 2030 beispielsweise mittels der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie umgesetzt, welche in Kapitel 3.4 noch genauer erläutert wird. 

Während mit den MDGs bis 2015 ein deutliches Ungleichgewicht zwischen globalem Norden und globalem Süden vorherrschte, sieht die Agenda 2030 alle Menschen in der Verantwortung, ihren persönlichen Beitrag hinsichtlich nachhaltiger Entwicklung zu leisten. Die tatsächliche Umsetzung gelingt nur durch die Einbindung aller Bevölkerungsgruppen oder wie es die Agenda 2030 formuliert: „[by] bringing together Governments, the private sector, civil society, the United Nations system and other actors and mobilizing all available resources.“ (United Nations 2015, 14) Dabei ist zudem die Entwicklung globaler Partnerschaften eine Grundvoraussetzung für den Erfolg der Agenda 2030. Denn in einer globalisierten Welt muss über Ländergrenzen hinaus gedacht und agiert werden (Hamm 2018). Nach dem Motto „leave no one behind“ soll niemand vergessen und alle mit einbezogen werden. Um dies zu erreichen, ist es erst einmal von enormer Wichtigkeit, dass die Weltbevölkerung über die Agenda 2030 und die SDGs bescheid weiß. Denn wer nach den Zielen der Agenda 2030 handeln soll, muss diese kennen. „Communication is key“ – dabei ist ein Vorteil der Agenda 2030, dass ihr „aufgrund ihres ambitionierten Plans und nicht zuletzt auch aufgrund des Wortes ‚Transformationsagenda‘ mehr Aufmerksamkeit zu[kommt], als es bei sektoralen Debatten der Fall sein könnte.“ (Brühl 2018, 18) Durch funktionierende Kommunikationsstrategien könnten also mehr Akteur*innen mobilisiert werden. 

Trotz der bestehenden Gesamtverantwortung Aller, erkennt die Agenda 2030 „die ‚wesentliche Rolle‘ der Parlamente für die wirksame Umsetzung einer Reihe der eingegangenen Verpflichtungen an.“ (Holtz 2018, 93) So sind die Parlamente essenziell für die Einbettung der SDGs in Gesetze und gesetzliche Rahmenbedingungen. Außerdem obliegt ihnen die Verantwortung für adäquate Mittelbereitstellung. Dabei ist auch in der Politik die Zusammenarbeit auf regionaler, länderspezifischer und globaler Ebene äußerst wichtig (Holtz 2018). So fasst es Schetter mit folgen Worten zusammen: „Regierungen beschlossen die Agenda 2030; die Verantwortung und Rechenschaftspflicht für ihre Umsetzung liegt ebenfalls beim Staat.“ (Schetter 2018).

Die Agenda 2030 ist ein Orientierungsrahmen für nachhaltige Entwicklung bis 2030 - aber keine rechtliche Verpflichtung. Die SDGs sind folglich vor allem normative Ziele (Brühl 2018), welche prüfbar gemacht werden durch zeitgebundene Unterziele sowie durch messbare Indikatoren. Letztere sind „die wesentliche Grundlage für einen effektiven Überprüfungsmechanismus“ (Martens and Obenland 2017, 19) und wurden im März 2017 durch die Delegierten der Statistikkommission in einem aktualisierten Katalog von 232 Indikatoren festgelegt. 

Was bringen jedoch Indikatoren, wenn keine*r sie anwendet? Natürlich wenig. Deswegen bedarf es Publikationen über den Stand der SDGs – ein wichtiger Teil im Dokument zur Agenda 2030 unter „Follow-up und Überprüfung“ (Martens and Obenland 2017, 12). Dabei gibt es zwei Formen der Publikationen zur Überprüfung: Einerseits gibt es die länderübergreifenden Berichte, wie das Dokument „Progress towards the SDGs“, welches jährlich erscheint. Dieser wird ergänzt „durch einen ausführlichen Bericht der Statistischen Kommission der VN sowie alle vier Jahre durch den Global Sustainable Development Report (GSDR), der eine wissenschaftliche Einschätzung der Entwicklungen liefern soll“ (Beisheim 2018, 158). Andererseits gibt es die freiwilligen Staatenberichte. Die „Voluntary National Reviews“ (kurz: VNRs) sind Berichte über die aktuelle Lage der SDGs im jeweiligen Land und können freiwillig beim Hochrangigen Politischen Forum (HLPF) abgegeben werden. Das HLPF ist ein zwischenstaatliches Forum sowie zentrales UN-Gremium für nachhaltige Entwicklung und soll vor allem die Umsetzung der Agenda 2030 und ihrer globalen Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) überwachen. Trotz fehlender Verpflichtung zur Abgabe der VNRs, ermutigt die Agenda 2030 die Mitgliedstaaten zur regelmäßigen Überprüfung ihrer Fortschritte und zur Veröffentlichung der entstandenen Erkenntnisse (Beisheim 2018).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Agenda 2030 viel auf aktive Teilnahme und selbständige Umsetzung beziehungsweise Überprüfung setzt. Einzig die Tagungen des HLPF – „alle vier Jahre für zwei Tage auf Ebene der Staatschefs und Regierungschefs im Rahmen der Eröffnung der Generalversammlung ("SDG-Gipfel") sowie jährlich für acht Tage, darunter während drei Tagen auf Ministerebene, im Rahmen der Arbeitstagung des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen (ECOSOC)“ (BMU 2020) - finden gesichert statt. So waren die Vereinten Nationen beim Eingriff in nationale Umsetzungen von Beginn an sehr zögerlich und auch die VNRs sind „weniger auf Kontrolle als auf gemeinsame Lernprozesse und den Austausch von Erfahrungen, sowohl zu good practices als auch zu Hemmnissen bei der Umsetzung, ausgerichtet.“ (Beisheim 2018, 159)

Viele der genannten Punkte werden im dreistufigen Überprüfungsrahmen (Martens and Obenland, 2017) zusammengefasst:

3.4 Die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie

„Jedes große Ziel fängt im Kopf an. […] Wir wollen und wir können unsere Welt verändern. Wir wollen und wir können der Welt ein menschlicheres Gesicht geben. Diesem Ziel dient die Agenda 2030.“
(Angela Merkel)

Rede von Kanzlerin Merkel zur #Agenda2030 für nachhaltige Entwicklung

Mit diesen Worten äußerte sich im Jahre 2015 die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede zur Eröffnung des VN-Gipfels für Nachhaltige Entwicklung in New York. Mächtige Worte, doch wie sieht es mit der Umsetzungsrealität in Deutschland aus? Fest steht: In Deutschland ist eine Nachhaltigkeitsstrategie bereits seit 2002 (damals noch unter dem Namen „Perspektiven für Deutschland“) existent, seit der Neuauflage 2016 wurde die Strategie mit ihren Zielen und Indikatoren nun vollständig auf die Agenda 2030 ausgerichtet. Dazu wurde die veränderte Strategie im Januar 2017 als neue Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie (kurz: DNS) vom Bundeskabinett beschlossen (Martens and Obenland 2017). Mittlerweile wurde die DNS bereits erneut überarbeitet und 2018, auf Basis des Peer Reviews desselben Jahres, eine aktualisierte Version veröffentlicht. Die Nachhaltigkeitsstrategie in ihrer aktualisierten Version von 2018 enthält 67 sogenannte Schlüsselindikatoren zu 38 Bereichen, welche zumeist mit quantifizierten Zielen verbunden sind. Dabei wird „zu jedem der 17 SDGs […] mindestens ein indikatorengestütztes Ziel definiert.“ (Die Bundesregierung 2017, 12) So heißt es in der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, Neuauflage 2016:

„Gegenstand der Nachhaltigkeitsstrategie sind daher nicht nur z.B. Klima- und Biodiversität, Ressourceneffizienz oder Mobilität. Auch Themen wie Armutsbekämpfung, Gesundheit, Bildung, Gleichstellung, solide Staatsfinanzen, Verteilungsgerechtigkeit oder Korruptionsbekämpfung werden in der Strategie mit politischen Zielen aufgegriffen. In Einklang mit den Inhalten der Agenda 2030 wurden hierfür 13 zusätzliche Themenbereiche und 30 Indikatoren neu in die Nachhaltigkeitsstrategie aufgenommen.“ (Die Bundesregierung 2017, 13)

Genauer heißt das: „Treibhausgasemissionen sollen bis 2020 um 40 Prozent sinken, der Anteil erneuerbarer Energien am Energieverbrauch soll bis 2050 auf 60 Prozent steigen und der ökologische Landbau soll in den nächsten Jahren auf ein Fünftel der landwirtschaftlich genutzten Fläche wachsen.“ (Martens and Obenland 2017, 22) Neben den genannten Zielen gibt es noch viele weitere Bestrebungen mit spezifischen Zeitrahmen zur Erfüllung. Diese zeitlich abgesteckten Ziele bilden zusammen mit den „Indikatoren für ein kontinuierliches Monitoring [und] Regelungen zur Steuerung und Festlegung zur institutionellen Ausgestaltung“ (Die Bundesregierung 2017, 22) das Nachhaltigkeitsmanagementsystem und folglich den Kern der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. Besonders spannend hinsichtlich der Vorsätze der Agenda 2030: das 0,7-Prozent-Ziel, auch ODA-Quote genannt. So hatten die Länder des globalen Nordens bereits 1970 zugesagt, einen Anteil von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) für Entwicklungszusammenarbeit mit Ländern des globalen Südens aufzuwenden. Deutschland erreichte dieses Ziel jedoch erstmals im Jahre 2016. Nämlich vor allem dadurch, dass die stark angestiegenen Ausgaben für Verpflegung und Versorgung Geflüchteter auf die deutsche ODA (=Official Development Assistance) angerechnet wurde (Martens and Obenland 2017).

Die Agenda 2030 spricht von einer Verantwortung Aller, setzt aber auch auf die Umsetzung seitens der Regierung und der Parlamente des jeweiligen Landes (Holtz 2018). In Deutschland bilden der Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung, der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung (PBnE) sowie der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) die drei wichtigsten Gremien. Die Institutionen bestanden jedoch auch bisher, „eine institutionelle Aufwertung, insbesondere des schwachen Parlamentarischen Beirats, gelang nicht.“ (Martens and Obenland 2017, 24)

Wichtigste Institutionen der dt. Nachhaltigkeitsstrategie

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Neu hinzugekommen ist das Forum Nachhaltigkeit, welches als „regelmäßiges Dialogformat der Bundesregierung mit gesellschaftlichen Akteuren“ (Martens and Obenland 2017, 24) fungiert und zuständig für „die Ernennung von Koordinatoren für nachhaltige Entwicklung in allen Ministerien“ (Martens and Obenland 2017, 24) ist. Darüber hinaus ist im föderalen System Deutschlands auch die Länder- und Kommunenebene entscheidend. So „obliegen ihnen in wichtigen Bereichen nachhaltiger Entwicklung Rechtsetzungs- und Verwaltungskompetenzen“ (Die Bundesregierung 2018, 26) Nach dem Stichwort „Global denken – lokal handeln“ (Martens and Obenland 2017, 26) sowie SDG Ziel 11 „Make cities and human settlements inclusive, safe, resilient and sustainable“ (United Nations 2015, 26) sind lokale Prozesse oftmals besonders wichtig. Unterstützende Projekte dafür sind beispielsweise der, vom RNE ins Leben gerufene, Dialog „Nachhaltige Stadt“ für Oberbürgermeister*innen, der Deutsche Nachhaltigkeitspreis für Kommunen oder die von der Bundesregierung finanzierten Stellen der Regionale Netzstelle Nachhaltigkeitsstrategie (RENN) (Martens and Obenland 2017).

Um eine fortlaufende Weiterentwicklung der Strategie zu garantieren, publiziert die Bundesregierung alle vier Jahr Fortschrittsberichte und informiert alle zwei Jahre Mittels Indikatorenberichte über die Entwicklung nachhaltiger Politik (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2020). Entsprechend der Empfehlungen seitens der Agenda 2030, zur Lageüberprüfung regelmäßig freiwillige Berichte beim HLPF abzulegen, legte Deutschland (nebst 21 weiterer Staaten) bereits beim ersten HLPF nach Beschluss der SDGS seinen VNR vor (Die Bundesregierung 2018). Darüber hinaus wurde die DNS 2018 einer externen Expertenuntersuchung unterzogen, dem „Peer Review on the German Sustainability Strategy Report“ (Rat für Nachhaltige Entwicklung 2018). 

3.5 Zwischenfazit Agenda 2030

Die Agenda 2030 wird viel gelobt, doch wie steht es um die Realität der Umsetzung der SDGs? Im Jahre 2019 wurde ein Zwischenbericht der Vereinten Nationen veröffentlicht. Dabei ist Deutschland auf Platz 6 im internationalen Vergleich, am besten platziert sind Dänemark, Schweden sowie Finnland (in dieser Reihenfolge). Zusammenfassend lässt sich sagen: Fortschritte wurden gemacht, aber es muss noch einiges geschehen.
Hier eine grafische Zusammenfassung des Berichts:

Zwischenfazit der Agenda 2030

Den gesamten SDG Bericht gibt es hier

 

4. Kommunikation und Partizipation

4.1. Kommunikationsstrategien der UN

Kommunikation und Awareness-Raising Aktivitäten sind essentielle Bausteine für den Erfolg der SDGs. Die Agenda 2030 geht nicht explizit auf konkrete Kommunikationsstrategien und Awareness-Raising Kampagnen ein, da jedes Land ihre Kommunikationsstrategien an ihre Kultur, die Umstände vor Ort und alltägliche Herausforderungen der Gesellschaft anpassen muss (Mulholland et al. 2017).

Die UN hat sehr viele verschiedene Strategien entwickelt, um nicht nur Stakeholder zu erreichen, sondern auch Menschen aller Herkünfte anzusprechen und sie einzuladen, Teil des Erfolgs der SDGs zu werden (Mulholland et al. 2017). Die Kommunikationsstrategien und Awareness-Raising Kampagnen der UN können in folgenden Kategorien unterteilt werden: Webseiten, Soziale-Medien-Kampagnen und Videos und Kurzfilme.

4.1.2 Webseiten

Die UN hat mehrere Webseiten erstellt, um die Ziele und Informationen über die SDGs und verschiedene Kampagnen und Projekte vorzustellen.

Als Beispiel hat die UN eine eigene Webseite über die SDGs und Agenda 2030 erstellt, um möglichst einfach und klar Informationen über die verschiedenen Ziele und ihre Umsetzung darzustellen. Diese Webseite verdeutlicht Unterschiede zwischen den SDGs und den MDGs, bietet detaillierte Informationen über jedes einzelne Ziel der Agenda 2030 und ihre Indikatoren und teilt Informationen über laufende Kampagnen, die von Besucher*innen unterstützt werden könnten (Mulholland et al. 2017).

Eine weitere UN-Webseite Act Now bietet Informationen über einfache und schnelle Möglichkeiten, die Agenda 2030 zu unterstützen. Unter anderem hat die UN einen Leitfaden mit zahlreichen Vorschlägen, wie man sich engagieren kann, entwickelt. Die zahlreichen und unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten sollen alle Leser*innen ansprechen und zeigen, dass jede*r etwas tun kann um die SDGs zu unterstützen, sei das durch kleine Veränderungen im alltäglichen Leben, wie die Reduzierung von Fleischkonsum, oder Einsatz auf eine unternehmerische Ebene (Mulholland et al. 2017).

Zusätzlich durch The Sustainable Development Knowledge Platform bietet die UN die Möglichkeit, sich noch weiter und intensiver über die einzelnen Ziele des SDGs, Agenda 2030 und einzelne UN-Projekte zu informieren. Alle Webseiten versuchen durch einfache Sprache und leichte Bedienung, die SDGs zugänglich für alle zu machen (Mulholland et al. 2017).

4.1.3. Digitale-Kampagnen

Die UN Sustainable Development Action Kampagne bietet zahlreiche Programme und Aktivitäten die sich um das Thema SDGs drehen. Diese Kampagne soll Stakeholder und Individuen begeistern, sich aktiv zu engagieren und ein Gefühl des Eigenverantwortung über den Erfolg der SDGs zu entwickeln (Mulholland et al. 2017).

Diese Kampagne hat mehrere digitale Aspekte, die Leute weltweit zusammenbringen und Austausch untereinander fördern soll. (Mulholland et al. 2017). MY World 2030 ist ein Programm der Sustainable Development Action Kampagne, wo Benutzer*innen weltweit einen kurzen Fragebogen ausfüllen können, um ihre Wahrnehmungen der Umsetzung der SDGs mit der UN teilen zu können und der UN auf diesem Weg einen Überblick über den Fortschritt der Entwicklungsprojekte zu bieten (Mulholland et al. 2017). Humans of MY WORLD ist eine Erweiterung von MY WORLD, mit der man auf einer Facebook-Seite der UN persönliche Erfahrungen im Bezug zu den SDGs, Meinungen und Projekte mit anderen SDG-Interessierten teilen kann (Mulholland et al. 2017). Hier werden Bilder und Videos von Individuen veröffentlicht, um die Ziele der SDGs persönlicher und zugänglicher zu machen.

Durch diese genannten und weitere Online-Kampagnen erschafft die UN eine aktive Online-Community von internationalen Involvierten, fördert Austausch und bieten eine Plattform mit persönlichen Erfahrungsberichten sowie neuen Informationen.

4.1.4. Videos und Kurzfilme

Ein weiterer Aspekt des Sustainable Development Campaign sind Kurzfilme. Kurzfilme sind eine effektive Awareness-Raising Methode, da sie komplexe Themen wie die SDGs einfach und klar darstellen können und ein breites und vielfältiges Publikum erreichen. Weiterhin setzen die Kurzfilme einen Fokus auf emotionale Aspekte der SDGs, damit sich Zuschauer*innen einen persönlichen Bezug zum Thema bilden können und dadurch motiviert werden, aktiv an der Umsetzung der Agenda 2030 teilzunehmen (Mulholland et al. 2017).

In Kooperation mit UNDP, UNF und Project Everyone hat die UN drei Kurzfilme zur SDGs gedreht (Mulholland et al. 2017).

4.2. Partizipative Entwicklung Kommunikation

4.2.1. Was versteht man unter partizipatorischen Kommunikationsprozessen?

Seit den 1970er Jahre spielt der partizipatorische Kommunikationsansatz eine sehr bedeutende Rolle in der Entwicklungskommunikation und ist seit den 1990er vollständig integriert in der Praxis der Entwicklungsarbeit  (Jacobson und Storey 2004; Muturi und Mwangi 2009). Dieser Ansatz wurde von Paulo Freire als Ersatz zu der Top-Down Vorgehensweise, welche die Entwicklungsarbeit davor beherrscht hatte, konzipiert (Freire 1970). Freire betonte, dass Bürger*innen, die in Entwicklungsprojekte miteinbezogen werden, in der Lage sind, ihre eigenen Probleme zu identifizieren und mithilfe dialog-basierter Kommunikation mögliche Lösungen entwickeln können (Freire 1970).

Im Mittelpunkt der partizipatorischen Kommunikationsprozesse steht die Ermächtigung von Bürger*innen in Entscheidungsprozessen innerhalb von Entwicklungsprojekten und die Förderung aktiver Teilnahme in der Vorbereitung, sowie in der Umsetzung der Projekte (Muturi und Mwangi 2009). Dialog-basierte Kommunikation spielt auch eine fundamentale Rolle bei diesem Ansatz (Muturi und Mwangi 2009). Die erhöhte Fokussierung auf dialog-basierte Kommunikation war revolutionär in der Entwicklungskommunikation der 1970er Jahre. Zuvor hatten die Projektleitenden den Bürger*innen ihr Wissen vor Ort weitergegeben. Dialog-basierte Kommunikation wiederum setzt einen größeren Wert auf den Austausch von Informationen zwischen allen Beteiligten und ersetzt Top-Down Kommunikationsweise durch eine rezeptivere Vorgehensweise, die Meinungen und Ansichten der Bürger*innen in die Projekten miteinbezieht (Muturi und Mwangi 2009; Ascroft und Masilela 1994).

4.2.2. Was sind mögliche Probleme bei der praktischen Umsetzung von partizipatorischen Kommunikationsansätzen?

In der praktischen Umsetzung partizipatorischer Kommunikationsstrategien können einige Probleme auftreten. Es kann zum Beispiel schwierig sein, individuelles Engagement von Bürger*innen, die an verschiedenen Projekten teilgenommen haben, zu messen (Ascroft und Masilela 1994). In der Entwicklungskommunikation werden oft uneinheitliche und teilweise unklare Methoden benutzt, um Engagement zu messen (Ascroft und Masilela 1994). Unzureichende Planung und die Neigung, in der Praxis Top-Down Kommunikation zu implementieren, die durch Zeit- und/oder Ressourcenmangel gerechtfertigt wird, sind weitere Probleme, die in der Praxis auftreten können (Ascroft und Masilela 1994).

Fehlende oder unkonkrete Kommunikationsstrategien können auch dazu führen, dass die Ziele eines Projekts nicht erreicht werden (Ali und Sonderling 2017). Ohne eine ausführliche Kommunikationsstrategie können zahlreiche Probleme in der Umsetzung eines Projektes auftreten, wie zum Beispiel das Problem des sogenannten „Dependecy Syndrome“ (Ali und Sonderling 2017). Dependency Syndrome kann in Regionen auftreten, in denen regelmäßige Unterstützung von außenstehenden Organisationen in Form von materieller Hilfe (Essen, Kleidung, usw.) angeboten wird. Die lokalen Bürger*innen halten sich von partizipatorischen Projekten fern, da sie befürchten, durch Projekte, die auf Selbständigkeit abzielen, Hilfe von Außenstehenden zu verlieren (Ali und Sonderling 2017). Dieses Problem könnte man allerdings durch gezielte und gut durchdachte Kommunikationsstrategien überwinden, und die Bürger*innen über die vielzähligen Vorteile von partizipatorischen Projekten aufklären (Ali und Sonderling 2017). Zusätzliche Probleme, die unzureichende Kommunikationsplanung verursachen können, sind zum Beispiel unprofessionelles Auftreten vor Sponsoren und anderen Organisationen oder Unglaubwürdigkeit und geringes Vertrauen von bestimmten Bevölkerungsgruppen (Ali und Sonderling 2017).

3 Dimensionen partizipatorischer Kommunikation

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4.3. Umsetzung partizipatorischer Kommunikation

Partizipatorische Kommunikationsansätze werden hauptsächlich auf vier verschiedenen Ebenen in Entwicklungsprojekte integriert. Zum einen wird Partizipation in der Durchführung eines Projektes eingesetzt (Hinthrone und Schneider 2012). Hier wird die lokale Bevölkerung aufgefordert, an bestimmten Projekten teilzunehmen und unterstützende Aufgaben zu übernehmen, oder Ressourcen beizutragen (Hinthrone und Schneider 2012).

Als nächstes wird Partizipation auch in der Evaluation eines Projektes eingeführt, um Meinungen und Wahrnehmungen von der lokalen Bevölkerung in der Evaluation mit einbeziehen zu können. Hier hat die lokale Bevölkerung die Gelegenheit, das Projekt zu kritisieren oder zu loben und der Organisation zu helfen, ihre eigenen Schwächen und Stärken zu erkennen (Hinthrone und Schneider 2012).

Für manche Organisationen wird es als Partizipation betrachtet, wenn die Leute vor Ort die Leistungen eines Projektes benutzen und in ihren Alltag integrieren. Hier könnte es zum Beispiel eine partizipatorische Tätigkeit sein, wenn Schüler*innen neu gebaute Sanitäranlagen in ihrer Schule benutzen oder sich Leute unabhängig von einer Organisation in einem Gemeindezentrum treffen, welches von einer Organisation für die lokale Bevölkerung gebaut wurde (Jacobson und Storey 2004). 

Zuletzt bietet der Entscheidungsprozess eines Projekts Raum für Partizipation. Hier wird der lokalen Bevölkerung die Möglichkeit gegeben, einerseits über Probleme in ihrer Community miteinander, andererseits mit Entwicklungsexpert*innen zu reden und sie können Projekte mitgestalten, um diese Probleme zu bewältigen (Hinthrone und Schneider 2012). Lokale Communities lernen durch diesen Prozess miteinander zu arbeiten, Probleme in der Community zu identifizieren und priorisieren und entwickeln eine starke Problemlösefähigkeit, indem sie Projekte nicht nur konzipieren, sondern auch durchsetzen (Hinthrone und Schneider 2012).

Im Besten Fall findet Partizipation in der Umsetzung von Entwicklungsprojekten auf allen oben genannten Ebenen statt. Leider ist das meistens nicht der Fall.

SDG Communicator Toolkit

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5. Projekte/Studien

Zur Verwirklichung der SDGs werden diverse (innovative) Projekte entworfen und umgesetzt. Diese werden von lokalen, nationalen oder internationalen Einrichtungen organisiert und geleitet. Die zwei folgenden Fallstudien bzw. Programme wurden vom SDG-Fund in Kooperation mit anderen Partner*innen vorbereitet und betreut. Das Hauptziel des SDG-Funds besteht darin, UN-Organisationen, nationale Regierungen, Hochschulen, die Zivilgesellschaft und die Wirtschaft zusammenzubringen, um die Agenda für nachhaltige Entwicklung bis 2030 zu fördern und die Ziele des SDG-Funds zu erreichen.

Es wurde hier bewusst entschieden, zwei Fallstudien zu behandeln, die vor allem das Ziel der Geschlechtergleichheit adressieren, welches für alle SDGs von zentraler Bedeutung ist, denn wenn es nicht erreicht wird, ist „die Umsetzung der Agenda 2030 gefährdet“ (UN Women 2020).

5.1. Fallstudie: Stärkung der Fähigkeit von Frauen zu produktiven neuen Möglichkeiten

In Bangladesch lebten 16,4 % der Bevölkerung im Jahr 2015 in extremer Armut (weniger als 1.805 kcal Nahrung am Tag). In den letzten Jahren gab es in Bangladesch allerdings positive Entwicklungen bei der Armutsbekämpfung (siehe Grafik 19).

Armutsquote in Bangladesch zwischen 2000 und 2016

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Nichtsdestotrotz ist Armut dort immer noch ein ernstes Problem, das einen großen Teil der Bevölkerung betrifft - vor allem Frauen, denn die Quote der extremen Armut in Haushalten mit weiblichem Haushaltsvorstand sei im Vergleich zu anderen Gruppen höher (SDG-Fund 2017).

Stärkung der Fähigkeiten von Frauen

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Bangladesche Frauen liegen nicht nur ökonomisch ganz hinten, sondern auch besonders gesellschaftlich. Bereits seit der Kindheit beginnt die Diskriminierung von Frauen in Bangladesch. Der niedrige Status von Mädchen spiegele sich vor allem in der Tatsache wider, dass sie in Bezug auf Ernährung, Gesundheitsversorgung, Kleidung und Bildung weit hinter den Jungen zurückbleiben. So sterben jedes Jahr etwa 30.000 Frauen an den Folgen von Schwangerschaft und Geburt. “Hauptgrund der hohen Müttersterblichkeit ist, dass viele Frauen bei ihrer ersten Schwangerschaft zu jung und die Abstände zwischen den weiteren Schwangerschaften zu kurz sind.” (Weltbank 2007; Das Hunger Projekt). Aber auch ihr kritischer Ernährungszustand sei dafür verantwortlich. 

Obwohl die Verfassung die Gleichstellung der Geschlechter und die Gleichstellung vor dem Gesetz vorsieht, sind sehr wenige Frauen in der Lage, ihre Rechte (z. B. Wahlrecht) wahrzunehmen. Die Teilhabe der Frauen an der Praxis wird immer erschwert und beeinträchtigt, solange sie einen niedrigen Bildungsstand haben, analphabetisch sind, geringes soziales und politisches Bewusstsein besitzen sowie der “vorgeschriebenen Verpflichtung” nachgehen, religiöse und kulturelle Normen einzuhalten.

Für Frauen aus extrem armen und besonders gefährdeten Haushalten in den Distrikten Kurigram und Satkhira, den am stärksten von Naturkatastrophen und Klimawandel betroffenen Gebieten hat der UNDP (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen) mit anderen Partner*innen und lokalen Regierungen das Programm << Strengthening women’s ability for productive new opportunities (SWAPNO)>> in dem Zeitraum 12|2017 – 09|2017 geleitet, das von dem SDG Fund organisiert wurde. Das Programm-Budget lag bei 4,6 Millionen Dollar. 

Die folgenden Informationen im Text beziehen sich auf eine Fallstudie (Case study) des SDG-Funds über das o.g. Programm. Der Bericht darüber wurde von Ekaterina Dorodnykh (Knowledge Management and M&E) im Jahr 2017 vorbereitet und von Vesna Jaksic Lowe und Victor Garrido Delgado bearbeitet.

Das Programm förderte Beschäftigungsmöglichkeiten und ein innovatives Modell für öffentliche Arbeiten für ländliche und arme Frauen. Es erkennt die zentrale Rolle der Kommunalverwaltung bei der Schaffung verantwortungsvoller und geschlechtergerechter Dienstleistungen zur Verringerung der Armut und zur Erreichung eines integrativen Wachstums an.

5.1.1. Strategie

Bei der Auswahl des Interventionsbereichs des Programms mussten die Armutsquote, die Anfälligkeit für Naturkatastrophen und die geografische Entfernung in Betracht gezogen werden. Im Rahmen des Programms wurde ein integrierter Ansatz entwickelt und umgesetzt, bei dem sozialer Schutz und Beschäftigung im Mittelpunkt stehen. Der Schwerpunkt der Strategien lag auf dem Aufbau der Human-Resources, des Wissens, der Fähigkeiten und des Selbstbewusstseins extrem armer Frauen, ihre künftige Beschäftigungsfähigkeit zu verbessern. Es beinhaltete Schulungen zur beruflichen Eignung, Stellenvermittlung, verschiedene Möglichkeiten für Berufe, die klimawandel-widerstandsfähig sind sowie die soziale und wirtschaftliche Inklusion der begünstigten Frauen (SDG-Fund 2017).

Die Frauen, die davon profitieren konnten, wurden für 18 Monate Arbeitszeit eingestellt, hauptsächlich bei der Erhaltung oder Sanierung wichtiger Gemeinschaftsgüter. Aber auch an Berufen im öffentlichen Dienst waren sie beteiligt. Durch diese direkte Beteiligung der Frauen, konnten sie in diesem Zeitraum die Herausforderungen bei der Arbeit erleben und auf diesem Weg herausfinden, welche Beschäftigungsart für sie in der Zukunft geeignet wäre. Außerdem sind die gesammelten Berufserfahrungen große Gewinne, die im späteren Berufsleben je nach Bedarf eingesetzt oder bei einer späteren Jobsuche anerkannt werden können. Somit werden die Chancen auf gut bezahlte Jobs erhöht.

Darüber hinaus ermutigte das Programm die Frauen, einen Teil ihres Lohnes zu sparen, der als Abschlussbonus ausgegeben wird, und erleichterte Verbindungen zu kleinen und mittleren Unternehmen, die die Teilnehmerinnen nach Beendigung des Programms einstellen können. Die Mitwirkung der Frauen, was als Unterpunkt „gleichberechtigte Partizipationsmöglichkeiten“ bei dem Ziel 5 der SDGs definiert wird, ist eine der wichtigsten Schritte in Richtung Gender Equality: „5.5: Die volle und wirksame Teilhabe von Frauen und ihre Chancengleichheit bei der Übernahme von Führungsrollen auf allen Ebenen der Entscheidungsfindung im politischen, wirtschaftlichen und öffentlichen Leben sicherstellen“ (EDA 2020).

5.1.2. Ergebnisse und Kritik

Aus dem Programm resultierten sich mehrere positive Ergebnisse (siehe Grafik 22). Dabei ist hervorzuheben, dass die Armutsrate unter den weiblichen begünstigten Haushalten deutlich zurückging und die Umweltbedingungen verbessert wurden, da die teilnehmenden Frauen auch selbst Bäume einpflanzten sowie Wasser- und Sanitäranlagen errichteten.

Ergebnisse der Fallstudie

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Es lässt sich allerdings bei dem Programm kritisch betrachten, dass es bei der Beschreibung des Zeitraums von 18 Monaten nicht ins Detail gegangen wird. Man erfährt beispielsweise nicht, welche unterschiedlichen Eindrücke die Teilnehmerinnen hatten. Allerdings erfährt man, dass die Dauer des Programms von einigen Teilnehmerinnen kritisiert wird, da sie in den ersten 12 Monaten über Schuldenrückzahlung und Ausgaben-Management lernen. Daher wird die Verlängerung der Ausbildung auf 24 Monaten seitens der führenden Institutionen vorgeschlagen. Und so: „Im zweiten Jahr könnten sie anfangen, über produktive Investitionen und Vermögenswerte nachzudenken, die für die Aufnahme einkommensschaffender Aktivitäten erforderlich sind.“ (Dorodnykh, 2017). Ein weiterer Aspekt, der nicht thematisiert wurde, ist, ob einige der Frauen kleine Kinder haben, um die sie sich allein kümmern und ob das Programm Kinderbetreuungsplätze im Lauf des Projekts angeboten hat.

Im Bericht ist es auch undeutlich, wie zwischen den teilnehmenden Frauen und den projektführenden Institutionen kommuniziert wurde. Zudem wird darauf nicht eingegangen, ob es zu irgendwelchem Zeitpunkt einigen Frauen schwerfiel, auf Selbstständigkeit umzusteigen und ob sie diesbezüglich Probleme bzw. Schwierigkeiten in ihrem Umfeld hatten, vor allem weil der Anteil an Frauen, die häusliche Gewalt ausgesetzt sind, auch in Bangladesch hoch ist. Laut der Sonderberichterstatterin der UN über Gewalt gegen Frauen, Rashida Manjoo: „Zirka 60% der verheirateten Frauen berichten, dass sie Gewalt durch ihre Ehemänner oder angeheirateten Verwandten erfahren haben.“ (Manjoo, 2013). Fraglich ist außerdem, wie inklusiv das Programm für Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen ist und ob es für sie barrierearme Bedingungen geschaffen werden.

Ansonsten wurde bei der Auswahlstrategie nicht erwähnt, ob es Frauen gab, die bei diesem Programm nicht aufgenommen wurden, welche Gründe dafür sein könnten (z.B. fehlende Ressourcen und Kapazitäten seitens der Organisator*innen) und ob es Strategien zur Beseitigung dieser Hindernisse entwickelt wurden/werden.

5.1.3. Fazit

Das Programm zeigt, dass die (positiven) Ergebnisse nicht nur auf die Lebensrealitäten der Frauen auswirken, sondern auch auf die deren Mitmenschen und ihre Communities. Ob die Ziele der SDGs mit derartigen Programmen bis zum Jahr 2030 erreicht werden können, lässt sich noch nicht absehen. Das könnte m.E. daran liegen, dass beispielsweise folgende Faktoren in dem Projekt nicht zur Sprache gebracht werden bzw. unberücksichtigt bleiben: Die physische und psychische Gesundheit der Frauen, die Akzeptanz des Umfeldes der Frauen von traditionell unkonventionellen Berufen, der Familienstand und bezahlbare Kitaplätze für die eigenen Kinder etc.

Zusammenfassend lässt es sich feststellen, dass solche Programme in Entwicklungsländern von großer Bedeutung sind, um Fortschritte im Bereich gleichberechtigte Partizipation und Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern zu erzielen, Armut bzw. Hunger zu bekämpfen, Wirtschaftswachstum anzukurbeln und Bildungsungleichheiten zu verringern.

5.2. Fallstudie: Stärkung des institutionellen Umfelds für die Frauenförderung in Guatemala

In Guatemala sind sehr wenige Frauen – vor allem indigene Frauen – über ihre Rechte aufgeklärt. Außerdem machen die indigenen Frauen den größten Teil der Armen in Guatemala aus. Auch im politischen Klima stehen (indigene) Frauen größeren Hindernissen bei der vollständigen Ausübung ihrer Menschenrechte gegenüber. Was sich auch in Zahlen belegen lässt (s. Abb. "Frauen in der Politik in Guatemala").

Frauen in der Politik in Guatemala

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Die Hindernisse auf dem Emanzipationsweg der Frauen in Guatemala lassen sich auf zwei zusammenhängende Aspekte zurückführen. Erstens sind die veralteten frauenfeindlichen diskriminierenden Sichtweisen in großen Teilen der Bevölkerung verankert, was auch dazu führt, dass Ungleichheiten innerhalb des Landes und dessen Institutionen stattfinden. Zweitens kämpft Guatemala mit der Institutionalisierung. Staatliche Institutionen wie SEPREM und DEMI haben sowohl intern als auch in ihrer interinstitutionellen Arbeit mit Ministerien Inkompetenz gezeigt.

Education opens doors for young women in Guatemala | ELCA

„Manchmal werden Männer wütend, weil sie glauben, dass Frauen nicht das Recht haben, zu sprechen oder eine Führungsrolle in der Community zu übernehmen. Sie werden sich verändern, weil ich jetzt lerne und Ihnen etwas beibringen werde.“ Sagt eine der teilnehmenden Frauen an dem Programm Casa Milagro, das jungen Frauen in ländlichen Gemeinschaften in Guatemala Bildung anbietet (Evangelical Lutheran Church in America, 2019, 4:58). Bei dem Programm probierten die Frauen verschiedene Sachen aus, entdeckten ihre Gaben und konnten dadurch lernen, ihr Leben besser zu führen. Diese und viele weitere Punkte stehen unter dem Ziel 5 der 17 Nachhaltigkeitsziele „Geschlechtergleichheit“. Neben diesem Projekt werden verschiedene andere Projekte und Fallstudien geführt, die die Frauen in Guatemala stärken und fördern sollen sowie die Situationen analysieren sollen. Eins davon ist <<Strengthening the institutional environment for the advancement of women in Guatemala>>, das vom SDG Fund geführt wurde. Nicht nur Gender Equality wird durch dieses Projekt adressiert, sondern auch das Ziel 16, das „Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung“ fördert.

Die folgenden Informationen im Text beziehen sich auf eine Fallstudie (Case study) des SDG-Funds über das o.g. Programm.

5.2.1. Fokus und Ziele:

Anders als bei der ersten Fallstudie geht es hier in erster Linie um die Ermächtigung der Institutionen, die sich für Frauenrechte einsetzen. Denn wenn sie ihr Personal in diversen Bereichen ausbilden und ihre Strukturen so umbauen, dass ihre Arbeit nachhaltig bzw. wirksam wird und die Interessen der Frauen vertritt, entsteht ein Vertrauen zwischen den beiden Seiten. 

Frauenförderung in Guatemala

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In sieben Departments wurden verschiedene Aktivitäten organisiert, die mehrere Schwerpunkte enthalteten. Da die o.g. Institutionen Schwäche auf verschiedene Ebenen gezeigt haben, soll zuerst deren technisches und administratives Personal in Themen wie Kontrollprozesse geschult werden. Dann muss ein Dialog zwischen diesen Einrichtungen und Frauen geführt werden. Außerdem wird gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung und Gewalt gekämpft. Schließlich werden Schulgruppen über die Beseitigung von Gender-Stereotypen aufgeklärt.

Departments in Guatemala

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Und zur Verwirklichung des fünften Ziels der SDGs soll durch das Programm sowohl die wirtschaftliche Stärke als auch die soziale und politische Teilhabe der Frauen verbessert werden. Zusätzlich wird ein Bericht über die Lage der Frauen in Guatemala ausgearbeitet.

5.2.2. Ergebnisse und Kritik

Sowohl das Image von SEPREM und DEMI als auch deren Strukturen wurden verbessert und gepflegt. Darüber hinaus konnte das Programm weibliche Führungspersönlichkeiten aus den teilnehmenden Departments unterstützen, indem ihnen Bewusstsein über Lobbyarbeit und politische Verhandlungsstrategien vermittelt wurden. Weitere positive Ergebnisse wurden erzielt.

Ergebnisse der Fallstudie

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Im Bereich der institutionellen Stärkung ist es auch wichtig zu erläutern, dass DEMI Dienstleistungen für Frauen erbringen konnte, die auf nationaler und lokaler Ebene unter Gewalt, Diskriminierung und Rassismus gelitten haben. Mit dieser Unterstützung hat DEMI landesweit insgesamt 9.265 Fälle bearbeitet (SDG-Fund, 2012). Das ist m. E. ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, da die Gewalt gegen Frauen in Guatemala seit Jahren zunimmt und für Frauen ein Alltag geworden ist. Laut dem LIPortal sei auch die Vergewaltigung durch den Ehemann in Guatemala kein Delikt. Im Jahr 2000 wurden in Guatemala 213 Femizide begangen, im Jahr 2009 waren es hingegen 708 (Mayr 2019).

Aber auch auf lokaler Ebene haben sich Entwicklungen gezeigt. So hat sich durch das Programm die Beteiligung von Frauen an Entscheidungsprozessen erhöht. Dazu beigetragen habe der gestärkte und ausgebaute Präsenz von SEPREM und DEMI in verschiedenen Bereichen und die angebotenen Schulungen zu Aspekten der Regierungsführung und Frauenrechte (SDG-Fund, 2012). Doch das reicht für eine Gleichberechtigung nicht aus. Eine Erweiterung sowie Weiterführung auf anderen Ebenen ist auf jeden Fall notwendig, da Frauen noch immer nicht genügend in der Politik repräsentiert sind. Aus einem Bericht aus dem Jahr 2006 sind guatemaltekische Frauen in Basisorganisationen sehr aktiv, aber sie stellen nur eine Minderheit in der Machtstruktur dar. 

Als Meilenstein wurde das autonome Institut für die politische Bildung indigener Frauen gegründet, wo Intensivkurse durchgeführt werden. Ein weiteres Ziel, das erreicht wurde, ist, dass 11.514 Schüler*innen aus den betroffenen Gebieten Schulungen zur Eliminierung von Geschlechterstereotypen erhalten haben. Damit setzt sich man zum Ziel, dass die Schüler*innen zukünftig für solche Themen sensibilisiert sind and damit ein inklusives Zusammenleben – besonders für marginalisierte Gruppen - gestalten, denn die Schule hat unter anderem die Aufgabe, auf die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken.

Natürlich konnte man auch bei diesem Programm die Ziele nicht ohne Herausforderungen erreichen. Die indigenen Frauen erfahren extreme Ungleichheit in Guatemala: Sie werden aufgrund ihrer Ethnie geringgeschätzt, sind sozial benachteiligt und werden auf dem Arbeitsmarkt Mehrfachdiskriminierung ausgesetzt. Es werden laut dem SDG-Fund auch viele Angelegenheiten und Sorgen der Frauen in Guatemala an Institutionen weitergeleitet, die selbst diskriminierend sind, was als Hindernis gilt, wenn Frauen ihre Rechte einfordern und als vollwertige Bürgerinnen handeln wollen.

5.2.3. Fazit

Betrachtet man den Ablauf und die Ergebnisse der Studie, lässt es sich feststellen, dass das Programm insgesamt gelungen ist und positive Auswirkungen erzielt hat. Der Ansatz, die Arbeit der Organisationen zu unterstützen, die für Frauenrechte kämpfen, kann m. E. zum strukturellen Abbauen bestehender Ungleichheiten und zur kompetenten Vertretung der Forderungen der Frauen beitragen. Wünschenswert wäre ein Vergleich der Ergebnisse mit Ergebnissen anderer Projekte, bei denen die Frauen direkt beteiligt waren, um zu beobachten und feststellen zu können, ob die unmittelbare Stärkung der Individuen oder die der Institutionen erfolgversprechender ist und zu einer gleichberechtigten Partizipation auf allen Ebenen führen kann.

Aufgrund der vielfältigen Kulturen in Guatemala und der existierenden Diskriminierungen innerhalb der Gesellschaft müssen Diskussionen und Dialoge auf verschiedenen Ebenen geführt werden, vor allem zwischen der Zivilgesellschaft und den Gemeinde-, Stadt- und nationalen Behörden. Nur auf diese Weise kann die gesellschaftliche und politische Teilhabe aller Individuen gestärkt werden und kann Gender-Politik präsent bleiben.

6. Kritik und Ausblick der Sustainable Development Goals

Zusammenfassend zeigt sich im Dossier deutlich, dass es enorm schwierig ist, die Forschungsfrage:

Erfüllen vorhandene Konzepte, Projekte und Fallstudien die Heilserwartungen an die Sustainable Development Goals (SDGs), nachdem die Millennium Development Goals (MDGs) 2000- 2015 kläglich gescheitert sind?

eindeutig mit ja oder nein zu beantworten. Zum einen gibt es für die MDGs bereits einen Abschlussbericht und es konnte viel über deren Erfolge und Misserfolge reflektiert werden, während es zu den SDGs lediglich einen Zwischenbericht aus 2019 gibt. Zum anderen scheinen einige Aspekte der Agenda 2030 wie Kommunikation und Entwicklungsansatz, sowie Einbezug der Entwicklungsländer und internationale Präsenz im Vergleich zu den MDGs besser zu verlaufen, es offenbaren sich jedoch auch Probleme und Kritikpunkte, die ähnliche wie bei den Millennium Development Goals ein Scheitern der Bestrebungen nach sich ziehen könnten.

Die SDGs scheinen nämlich ähnlichen Problemen wie die MDGs zu unterliegen. Auch im Jahr 2020 stellt sich immer noch die Frage, ob es überhaupt Aufgabe der Industriestaaten ist, eine nach ihrem Verständnis und ihren Weltanschauungen ausgelegte Transformation und Weiterentwicklung zu fordern oder ob damit die sogenannten Entwicklungsländer in ihren eigenen Bemühungen behindert werden. Zugleicht ist jedoch im Vergleich zu den MDGs sehr deutlich, dass die Entwicklungsländer stärker in den Prozess der Agenda 2030 eingebunden waren und die Verantwortung nun mehr bei allen UN-Staaten verortet ist. Somit haben die SDGs eine höhere Validität als es noch die MDGs hatten (siehe Kapitel 3.2). Weitere Kritikpunkte, wie etwa die vagen Formulierungen der einzelnen Ziele sowie weiche Kompromisse sind ebenfalls zu nennen, trotzdem sollte man hier nicht vergessen, dass Politik und internationale Verträge ohne diese Kompromisse und Interpretationsspielräume nicht bestehen können. Fraglich ist nur, ob die Kompromisse im Sinne der Entwicklungsstaaten oder der Industriestaaten geschlossen wurden. Des Weiteren wird bei den SDGs zwar stärker auf korrekte Daten, Analysen und Kontrollen der Fortschritte gesetzt, aber da auch die Agenda 2030 nicht bindend ist, können Fehlverhalten oder mangelnder Einsatz der einzelnen Länder nicht sanktioniert werden.

Und tatsächlich scheint der erste Zwischenbericht (siehe Agenda 2030) der Agenda 2030 aus dem Jahr 2019 den Kritikern der Sustainable Development Goals recht zu geben, denn laut des Reports wird kein Land der Welt die Ziele bis 2030 erreichen können. Obwohl die Agenda einen großen Fokus auf den Klimaschutz gesetzt hat, verfehlen hier alle UN-Staaten ihre Aufgaben und Ziele und besonders im Bereich nachhaltiger Konsum, Landwirtschaft und Lebensmittelverschwendung ist noch viel Luft nach oben.

Das Machtgefälle zwischen den reichen Industriestaaten und den ärmeren Entwicklungsländern ist gerade beim Thema Klimawandel immer noch präsent und auch 2020 scheint hierfür noch keine Lösung gefunden zu sein, denn häufig sind der Lebensstandard und Konsum der reicheren Länder für Naturveränderungen, wie zum Beispiel die Abholzung von Wäldern für die hohe Nachfrage nach Palmöl, verantwortlich (Bertelsmannstiftung 2019).

Die größte Schwäche und damit auch der stärkste Grund, um die Forschungsfrage mit nein zu beantworten, ist die Krisenanfälligkeit der Konzepte und Projekte. Waren es zu Zeiten der MDGs noch vor allem Finanz und Wirtschaftskrisen, die die Bereitschaft der Industrieländer senkte, finanzielle Mittel und Unterstützung bereit zu stellen, so ist die größte Herausforderung der jetzigen Zeit die weltweite Corona-Pandemie, die Auswirkungen auf alle Bereiche und Sektoren hat. Während noch niemand wirklich wusste, wie man am besten mit dem Virus umgehen sollte und Länder weltweit in Shut-Downs ihre Grenzen geschlossen haben, kam die weltweite Versorgungskette und damit die Entwicklungshilfe beinahe zum Stillstand, weil sich alle Länder zunächst einmal auf sich selbst und die Eindämmung der Pandemie konzentrierten. Dies hat nicht nur langfristige wirtschaftliche Schäden zur Folge, die Ungleichheit und Armut fördern, sondern auch gezeigt, wie schnell die Fortschritte in den Entwicklungsländern zu Nichte gemacht werden können. Dies belegt der Goal-Keepers Report der Bill und Melinda Gates Stiftung (2020) mit erschreckenden Zahlen und Prognosen. So ist beispielsweise der Indikator Durchimpfungsrate auf ein Tief gefallen, wie zuletzt in 1990ern- in 25 Wochen wurden etwa 25 Jahre Impferfolge ausgelöscht. Hier muss nun nicht nur überlegt werden, wie diese Auswirkungen gemeinsam eingedämmt werden können, sondern auch Konzepte und Strategien ausgearbeitet werden, die die Entwicklungshilfe resistenter und nachhaltiger werden lassen, denn gerade durch die Klimaveränderungen werden Naturkatastrophen immer wahrscheinlicher.

Trotz der bisher ernüchternden Ergebnisse gibt es auch Aspekte, die durchaus für die Agenda 2030 und deren Konzepte und Projekte spreche, auch wenn von Heilung noch lange nicht die Rede sein.

Die verbesserten Entwicklungskonzepte und vor allem die verbesserte partizipative Kommunikation sind ein großer Vorteil der SDGs, der ihre Ansätze nachhaltiger macht als dies bei den MDGs noch der Fall war (siehe Kapitel 2.2 & 4). Durch mehr und verbesserte Awarness-Raising Kampagnen und bessere internationale Vernetzung sowie stärkerer öffentliche Präsenz sind die Thematiken der SDGs wie etwa Klimawandel, Armut und Hungerhilfe in der Gesellschaft besser bekannt und auch diskutiert. Die Menschen fühlen sich verantwortlich. Die stärkere öffentliche Präsenz lässt sich auch darin erkennen, dass das Welternährungsprogramm der UN den Friedensnobelpreis 2020 erhalten hat.

Welthungerhilfe

Bundesregierung

Selbst wenn es sehr unwahrscheinlich ist, dass die Sustainable Development Goals bis 2030 erreicht und damit die Heilserwartungen erfüllt werden, so muss man zumindest anerkennen, dass es gut ist, dass es solche internationalen Bestrebungen gibt und diese ein wichtiges Signal von Zusammenhalt und gemeinsamer Verantwortlichkeit für die Welt und alle Menschen aussenden.

Abschließend bleibt also der Schluss, dass die Ziele der SDGs bis 2030 nicht erreicht werden, die momentanen Konzepte und Kommunikationsstrategien jedoch bereits ein großer Fortschritt zu den MDGs sind, die in Zukunft sicherlich noch ausgeweitet und krisenfähiger gemacht werden müssen.

Literaturverzeichnis