Die Ergebnisse des European Communication Monitor 2020, der weltweit größten Studie zum Status Quo der Kommunikations- und PR-Branche, wurden heute in einem Webinar einem internationalen Fachpublikum vorgestellt. Ein renommiertes Forscherteam unter Leitung von Professor Ansgar Zerfaß (Universität Leipzig) hat über 2.300 Kommunikatoren aus 44 Ländern befragt. Das Verbundprojekt mit 25 beteiligten Universitäten und mehreren externen Partnern aus ganz Europa wird am Lehrstuhl von Jens Hagelstein als Projektmanager betreut.
Die Studie behandelt mehrere aktuelle Themen:
- Ethik: Digitale Kommunikationskanäle führen häufiger zu moralischen Dilemmata – aber Kodizes der Branchenverbände werden selten genutzt und nur wenige haben sich in ethischen Fragen qualifiziert
- Gleichstellung: Drei von vier Kommunikationsabteilungen und -agenturen beschäftigen mehr Frauen als Männer – aber nur jede zweite Führungskraft ist eine Frau, in Deutschland sogar nur eine von dreien
- Cybersicherheit: Kommunikationsverantwortliche befürchten Hackerangriffe auf Webseiten und Social-Media-Accounts, werden jedoch selten bei Präventionsmaßnahmen eingebunden
- Kompetenzen: In den Bereichen Technologie und Datenmanagement klaffen Kompetenzlücken bei Kommunikatoren, obwohl im Schnitt 19 Tage pro Jahr in Fortbildungen investiert wurde
Der Ergebnisbericht des ECM 2020 mit zahlreichen Detailauswertungen für Unternehmen, Non-Profit-Organisationen, öffentliche Institutionen und Kommunikationsagenturen sowie zentrale Länder ist unter www.communicationmonitor.eu kostenlos verfügbar (PDF, 132 Seiten, englisch). Die Studie entspricht allen wissenschaftlichen Standards; sie wird seit 2007 jährlich durchgeführt und durch parallele Erhebungen in Nordamerika, Lateinamerika und Asien ergänzt.
„Die digitale Kommunikation über alle Kanäle bietet neue Chancen zur genauen Adressierung von Zielgruppen und Stärkung der Reputation“, sagt Thomas Leitner, Vice President Cision D/A/CH, die die Studie als Partner unterstützt haben. „Die notwendige Infrastruktur gilt es abzusichern und Mitarbeiter zu sensibilisieren – auch im Hinblick auf die Spielregeln in rechtlich noch ungeregelten Bereichen.“
„Know-how bei der Analyse und Auswertung von Daten ist für PR-Profis heute unverzichtbar“, so Alexandra Groß, Vorstandsvorsitzende von Fink & Fuchs aus Wiesbaden, die Digitalpartner der Studie sind. „Dass die Studie hier Nachholbedarf aufzeigt, sollte ein Weckruf sein. Wer das volle Potenzial digitaler Kommunikation ausschöpfen will, muss kompetente Mitarbeiter und Berater an der Seite haben.“
Ethische Herausforderungen und wie ihnen zu begegnen ist
In einer globalisierten und vernetzten Welt sind die Konsequenzen individuellen Handelns oftmals schwer abschätzbar. Vieles, was rechtlich akzeptabel ist, kann aus moralischer Sicht fragwürdig sein. Studienleiter Professor Dr. Ansgar Zerfaß erklärt: „Strategische Kommunikation beeinflusst die öffentliche Meinungsbildung und Realitätskonstruktionen in erheblichem Maße. Dies stellt Kommunikatoren in Organisationen und Agenturen vor immer neue moralische Herausforderungen, die wir in unserer Studie untersucht haben.“
Jeder zweite Kommunikationsverantwortliche (47 Prozent) sah sich in der täglichen Arbeit im vergangenen Jahr mit mehreren moralisch herausfordernden Situationen konfrontiert, in 18 Prozent der Fälle gab es immerhin einen derartigen Vorfall. Im Vergleich zu früheren Erhebungen zeigt sich eine steigende Tendenz ethischer Probleme in den letzten Jahren. Die meisten Befragten begegneten diesen Herausforderungen, indem sie sich auf ihre persönlichen Werte und Einstellungen verließen (86 Prozent Zustimmung). Ethik-Richtlinien der eigenen Organisation (77 Prozent) und insbesondere Branchenkodizes (58 Prozent) wurden dagegen deutlich seltener konsultiert. Neuere Kommunikationspraktiken wie Social Bots und Big-Data-Analysen werden aus ethischer Sicht kritisch bewertet (siehe Abb. 1) – möglicherweise auch deshalb, weil nur eine Minderheit der Befragten in den letzten drei Jahren an einer Ethik-Fortbildung teilgenommen hat.
Gleichstellung in der Kommunikationsbranche – Status Quo und Problemfelder
Spätestens seitdem die Vereinten Nationen die Gleichstellung von Frauen und Männern als fünftes ihrer 17 Sustainable Development Goals (SDG) adressiert haben, wird dieses Thema auch in der Kommunikationsbranche verstärkt diskutiert. Der European Communication Monitor untersucht jährlich den Status Quo weiblicher Fach- und Führungskräfte in der PR – in der diesjährigen Erhebung mit einem besonderen Fokus auf die bereits erzielten Fortschritte sowie die weiterhin existierende „gläserne Decke“ für weibliche Kommunikatorinnen in der Branche.
Die Ergebnisse zeigen, dass zwar in drei von vier Kommunikationsabteilungen und -agenturen mehr Frauen als Männer arbeiten, aber nur jede zweite Abteilung/Agentur von einer Frau geleitet wird. Mehr als die Hälfte der Befragten konstatiert eine Verbesserung der Gleichstellung in der Branche. Nur eine Minderheit stimmt der Aussage zu, dass bereits genug getan sei (siehe Abb. 2) – dabei gibt es große Unterschiede sowohl zwischen Männern und Frauen als auch regional. Als die größten Karrierehürden für Frauen in der Kommunikation werden organisationsinterne Hürden genannt wie mangelnde Flexibilität, etwa zur Kinderbetreuung (62 Prozent Zustimmung), sowie intransparente Beförderungsentscheidungen (58 Prozent).
Cybersicherheit in der Kommunikation
Digitale Infrastrukturen sind das Rückgrat moderner Kommunikation. Cybersicherheit wird damit zu einem erfolgskritischen Faktor für sämtliche interne und externe Kommunikationsvorgänge.
Knapp zwei Drittel der befragten Kommunikatoren verfolgen die aktuelle Debatte um Cybersicherheit (63 Prozent) und halten das Thema für ihre tägliche Arbeit in der Abteilung oder Agentur relevant (59 Prozent). Befürchtet wird insbesondere, dass Hacker Webseiten oder Social-Media-Accounts angreifen könnten (42 Prozent Zustimmung) oder digitale Infrastrukturen zum Absturz bringen könnten (29 Prozent). Dabei sind öffentliche Institutionen und Non-Profit-Organisationen stärker gefährdet als Unternehmen. Mehr als die Hälfte der Befragten (54 Prozent) hat schon einmal eine Cyber-Attacke auf die eigene Organisation erlebt, allerdings sind nur wenige in strukturelle Maßnahmen zur Cybersicherheit ihrer Organisation direkt involviert (siehe Abb. 3).
Kompetenzentwicklung: Lücken, Bedarf und Training
Das Kompetenzlevel der individuellen Kommunikatoren stellt einen wesentlichen Erfolgsfaktor von Kommunikationsabteilungen dar. Sie umfassen sowohl kommunikationsspezifische Fähigkeiten als auch darüber hinaus gehende Kompetenzen aus den Bereichen Management, Business, Technologie und Daten.
Rund die Hälfte der Befragten (43 Prozent) stimmt der Aussage zu, dass Kompetenzen und ihre Entwicklung ein zentrales Thema für die Branche sind, und fast alle (81 Prozent) sind sich darin einig, dass die eigenen Kompetenzen einer steten Weiterentwicklung bedürfen. Kompetenzlücken wurden vor allem bei Technologiekenntnissen und Datenmanagement identifiziert. Die Hälfte aller Befragten fühlen sich in diesen Bereichen noch nicht ausreichend qualifiziert. Im Durchschnitt haben die Kommunikatoren in der Stichprobe 19 Tage im Kalenderjahr 2019 für Fortbildungen aufgewendet – für die Hälfte davon wurde Freizeit geopfert (Wochenenden, Urlaubstage, Feierabende) (siehe Abb. 4). Die meisten Befragten sehen die Kompetenzentwicklung im Verantwortungsbereich jedes Einzelnen (84 Prozent Zustimmung), aber annähernd ebenso viele wünschen sich Fortbildungsprogramme seitens ihrer Organisation (83 Prozent).
Hintergrund
Der European Communication Monitor (ECM) wird jährlich von der EUPRERA, dem europaweiten Verband der Kommunikations- und PR-Wissenschaftler (European Public Relations Education and Research Association) sowie dem EACD als internationalem Verband der Kommunikationsdirektoren (European Association of Communication Directors) durchgeführt. Unterstützt werden die Organisatoren dabei von dabei von Cision Insights, einem globalen Dienstleister für strategische Medienbeobachtung und Kommunikationsanalysen in der Cision-Gruppe, sowie der Kommunikationsagentur Fink & Fuchs. Parallele Studien in Nordamerika, Lateinamerika und im Asiatisch-Pazifischen Raum machen die Studie zur weltweit größten, akademisch fundierten Studienreihe im Berufsfeld, die insgesamt mehr als 80 Länder erfasst.
Ergebnisbericht
Der Ergebnisbericht des ECM 2020 wird als PDF-Version und als Booklet veröffentlicht:
Zerfass, A., Verhoeven, P., Moreno, A., Tench, R., & Verčič, D. (2020). European Communication Monitor 2020. Ethical challenges, gender issues, cyber security,
and competence gaps in strategic communication. Results of a survey in 44 countries. Brussels: EUPRERA/EACD.
Weitere Informationen, alle Ergebnisberichte früherer ECM-Studien und ein Benchmarking-Tool zum Abgleich eigener Erfahrungen mit dem ECM-Datenpool finden sich unter www.communicationmonitor.eu.