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In Leipzig schloss sich ein Kreis in seinem Leben. Hier verbrachte der am 6. Januar 1943 in Lutherstadt Wittenberg geborene Ruprecht Eser seine Schulzeit und machte 1961 sein Abitur. Hier rebellierte er gegen das System und musste erkennen, dass er in der DDR nichts würde und nie in Leipzig studieren dürfte. Und so verließen seine Eltern mit seiner Schwester und ihm nur drei Wochen vor dem Mauerbau die DDR und gingen nach West-Berlin. Die deutsch-deutsche Geschichte ließ ihn als „Doppeldeutscher“ – wie er sich hin und wieder bezeichnete – nicht mehr los.

Und so war es für Ruprecht Eser auch ein „Akt später Rache“, dass er nach seiner aktiven Journalistenzeit ab dem Wintersemester 2011/12 in der Journalismusausbildung der Universität Leipzig wirken durfte. Da kam er zum ersten Mal als Lehrbeauftragter nach Leipzig. „Gewusst wie? – Methoden und Praktiken des (angelsächsischen) Journalismus im Interview“ hieß das einwöchige Blockseminar, das Ruprecht Eser im Masterstudiengang Journalistik anbot. Und er begeisterte unsere Studierenden von Beginn an. Sie übten mit ihm den Auftritt vor der Kamera, Moderation, Interviewführung, Streitgespräche und eine Talkshowrunde. Seine Seminare waren fortan ein regelmäßiges festes Highlight in der Lehre.

Dies war selbst bei der damaligen Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel – die im Gegensatz zu Eser an der Universität Leipzig studiert hatte – nicht unbemerkt geblieben. Zu seinem 70. Geburtstag schrieb sie ihm nicht nur: „Sie gelten zu Recht als Meister der Gesprächsführung, der – bei aller Hartnäckigkeit – seinen Interviewpartnern stets mit Respekt begegnet. So haben Sie als langjähriger erfolgreicher Fernsehjournalist Maßstäbe für einen zuverlässigen und anspruchsvollen Journalismus gesetzt.“ Merkel schrieb auch: „Ich freue mich, dass Sie Ihre Erfahrungen und Ihr Verständnis eines wertorientierten Journalismus an den Nachwuchs weitergeben.“

Im selben Jahr – am 26. November 2013 – erhielt Ruprecht Eser aus den Händen der damaligen Rektorin der Universität Leipzig, Prof. Dr. Beate Schücking, die Ernennungsurkunde als Honorarprofessor für Fernsehjournalismus. Seine Antrittsvorlesung hielt Professor Eser am 9. April 2014 im vollbesetzten Vortragssaal der Universitätsbibliothek Albertina zum Thema „Journalismus und Voyeurismus? Über das Verhältnis von Medien und Politik“. Zu Beginn gestand der so erfahrene Fernsehmann: „Etwas aufgeregt bin ich.“ Er habe in Leipzig nie studieren dürfen und nun komme er doch an diese Universität.

Ein Kreis in seinem Leben hatte sich nun also in Leipzig geschlossen. Leipzig war immer seine Heimatstadt geblieben. Wenn Ruprecht Eser fortan regelmäßig mit dem Zug aus Hamburg oder Berlin in Leipzig ankam, kaufte er sich zunächst die Leipziger Volkszeitung, um zu sehen, was sich in seiner Stadt tat. Um sich dann mit seiner ganzen Empathie, Energie und Expertise unseren Journalistik-Studierenden zu widmen.

Zwei Wochen nach der Ernennung von Ruprecht Eser zum Honorarprofessor war ich zum Juniorprofessor für Journalismusforschung berufen worden. Dass ich fortan mit einem der besten und bedeutendsten Journalisten, die Deutschland je hatte, zusammenarbeiten durfte, hätte ich mir niemals erträumt. Meine erste prägende Erinnerung aus der Kindheit an Fernsehnachrichten, an das heute journal, das war Ruprecht Eser. Er begeisterte mich für den Journalismus.

Von 1985 bis 1992 war Ruprecht Eser Moderator des ZDF heute journals, seit 1988 auch Redaktionsleiter. In dieser Funktion erlebte er den Höhepunkt seines journalistischen Lebens – wie er das selbst sah: die friedliche Revolution 1989/90 in der DDR, ausgehend von den Montagsdemonstrationen in seiner Heimatstadt Leipzig. So hielt er auch den 9. Oktober für den eigentlich besseren Tag der Deutschen Einheit. Denn an diesem Datum zogen 1989 in Leipzig rund 70.000 Menschen um den Innenstadtring und brachten das Unrechtsregime ins Wanken. Das journalistische Handwerk hatte Eser bei der BBC gelernt. 37 Jahre arbeitete er danach in verschiedenen Funktionen für das ZDF, u. a. auch als Korrespondent in London und Chefreporter.

Sein größtes Projekt an der Universität Leipzig durfte ich zwei Jahre lang gemeinsam mit ihm gestalten: das „Leipziger Journalistik-Forum“ vom Wintersemester 2014/15 bis Sommersemester 2016. Es war eine öffentliche Veranstaltungsreihe mit integriertem Seminar im Masterstudiengang Journalistik. Im akademischen Jahr 2014/15 widmete sich das Forum dem Thema „Außenpolitische Berichterstattung und Qualitätsjournalismus“. Im Wintersemester 2015/16 betrachteten wir noch spezieller das Verhältnis von Krisenberichterstattung und Friedensjournalismus. Dabei war dem überzeugten Europäer Ruprecht Eser der Beitrag des Journalismus für die Völkerverständigung wichtig. Und für das Sommersemester 2016 hat sich der Fußball-Fan Eser das Thema „Sport. Kultur. Medien“ ausgesucht.

Für die Veranstaltungsreihe konnte Ruprecht Eser aus seinem pickepackevollen Adressbüchlein die renommiertesten Journalistinnen und Journalisten gewinnen. Wenn Ruprecht Eser sich meldete, kamen die Gäste nur allzu gern nach Leipzig. Und bis zu 250 Studierende und interessierte Leipziger Bürgerinnen und Bürger drängten sich im Hörsaal. Während der Veranstaltungen überließ Ruprecht Eser unseren Journalistik-Studierenden die Bühne: Sie führten die Gespräche mit den Gästen. Eser bereitete die Studierenden jeweils am Tag vor der Veranstaltung vor, gab ihnen Tipps und Kniffe mit und am Tag danach gab es eine fundierte und konstruktive Auswertungsrunde. Für einige Jahrgänge unserer Journalistik-Studierenden waren das prägende Erfahrungen.

Ich durfte in diesem Rahmen nicht nur den Journalisten und Professor, sondern auch den Menschen Ruprecht Eser kennenlernen. Wir konnten uns über Vieles austauschen, das Eser mit seiner ganzen Lebenserfahrung und „väterlichem“ Blick einzuordnen wusste. Auch wenn bei den Abenden des Journalistik-Forums natürlich die Gäste und unsere Studierenden im Mittelpunkt standen, kam Ruprecht Eser dann und sagte: „Und nun trinken wir beide noch ein Glas Weißwein.“

Geradezu folgerichtig in der Biographie von Ruprecht Eser hatte er den würdigen abschließenden Auftritt an der Universität Leipzig am 30. Jahrestag des Mauerfalls, als er bei der Verabschiedung unserer Absolventinnen und Absolventen 2019 die feierliche Festrede im „Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli“, dem wiedererstandenen geistigen und geistlichem Zentrum der Universität, hielt: „Freiheit, Vertrauen, Verantwortung – Gedanken zum 9. November“.

Unseren letzten Weißwein haben wir am 11. April getrunken – natürlich in Leipzig. Professor Ruprecht Eser verstarb am 9. Dezember 2022 im Alter von 79 Jahren. Für sein Wirken an der Universität Leipzig darf ich ihm nicht nur als Geschäftsführender Direktor des Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft, sondern – dessen bin ich mir sicher – gerade auch im Namen von Dutzenden Journalistik-Studierenden zutiefst danken.