Philosophisches Kolloquium - WiSe 23/24
Daniel James (Dresden): Black History is World History
Trotz Hegels berüchtigter Behauptung, dass die Bewohner Afrikas „aus sich nie herausgekommen” sind und in der Geschichte keinen Fuß gefasst” haben, haben sich zahlreiche schwarze Denker:innen seine Philosophie angeeignet, um ihre eigenen theoretischen Ziele zu verfolgen. Durch disese Aneignung haben sie Hegels Ansichten über die weltgeschichtliche Rolle Afrikas und Menschen afrikanischer Abstammung nicht nur herausgefordert, sondern teils sogar subvertiert. In diesem Vortrag möchte ich eine solche Subversion durch den Historiker und marxistischen Theoretiker C. L. R. James in Blick nehmen.
In einer Reihe von Vorträgen, die James 1971 über sein wohl berühmtestes Werk – The Black Jacobins – hielt, erläutert er, dass erst Hegels „spekulatives Denken“ ihm ermöglichte, in der haitianischen Revolution, die Gegenstand dieses Buches war, das Potenzial für die Befreiung des gesamten afrikanischen Kontinents zu sehen. Mit diesem Denken setzte er sich allerdings erst in seinem Buch Notes on Dialectics auseinander, das erst zehn Jahre nach The Black Jacobins veröffentlicht wurde. In diesem Buch versuchte er, die Geschichte der Arbeiterbewegung im Lichte einer Neubewertung der Grundlagen der marxistischen Theorie auf der Grundlage einer Lektüre von Hegels Wissenschaft der Logik zu zu begreifen. Indem er den weltgeschichtlichen Ausblick seiner Darstellung der haitianischen Revolution – das Aufkommen Afrikas „als unabhängige Kraft in der Geschichte“ – durch seine spätere Deutung der Hegelschen Dialektik neu rahmt, legt James nahe, dass diese Deutung auch einen geeigneten theoretischen Rahmen für seine frühere Darstellung liefert.
In diesem Vortrag werde ich James‘ Darstellung der haitianischen Revolution rückblickend im Lichte seiner von Hegel inspirierten Philosophie der Weltgeschichte zu erhellen suchen. Wie ich zeigen werde, stellt diese Darstellung bereits ein Paradigma für diese Philosophie dar. Darüber hinaus betrachtet James die haitianische Revolution nicht als bloßes Nachspiel der französischen Revolution, sondern als ein weltgeschichtliches Ereignis eigenen Rechts, das auch die europäische Welt maßgeblich prägte. Denn sie verallgemeinerte das aufklärerische Ideal der Freiheit, welches viele europäische Revolutionäre bislang auf Europa beschränkt hatten. James subvertiert damit Hegels Sicht der welthistorischen Rolle Afrikas und Menschen afrikanischer Abstammung. Denn er rückt ihren Kampf und ihre Errungenschaften an die Speerspitze weltgeschichtlicher Entwicklung. Er schreibt damit Hegels Erzählung vom „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“ um, indem er den schwarzen Kampf für allgemeine Freiheit in deren Zentrum stellt.
Zur Person:
Daniel James lehrt Philosophie, politische Theorie und Ideengeschichte am Institut für Philosophie und am Institut für Politikwissenschaft der Technischen Universität Dresden. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der klassischen deutschen Philosophie (vor allem Hegel), in der Sozialphilosophie (vor allem die „philosophy of race“) und der Philosophie der Sozialwissenschaften. Er interessiert sich auch für Africana und feministische Philosophie, sowie für Marx und Marxismus.
In Hegel (anti)kolonial untersucht Daniel James mit Franz Knappik, wie rassistische und prokolonialistische Elemente in Hegels Philosophie mit Kernelementen seines philosophischen Systems zusammenhängen. Vor diesem Hintergrund erkunden sie das ambivalente Erbe von Hegels Philosophie in pro- und antikolonialem Denken, insbesondere in der schwarzen intellekturellen Tradition, wie sie von W.E.B. Du Bois, Frantz Fanon, C.L.R. James und Angela Davis verkörpert wird. In diesem Rahmen erschien letztes Jahr ihr Artikel „Exploring the Metaphysics of Hegel’s Racism“ beim Hegel Bulletin. Dieses Jahr erscheint ihr Buch Hegel and Colonialism bei Cambridge University Press.